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Diagnose - nächste Schritte

BeitragVerfasst: Mi 8. Feb 2017, 23:02
von Moni83
Hallo zusammen,
ich habe vor einigen Tagen die Diagnose spastische Paraplegie Typ 31 mit REEP1-Mutation erhalten. Vererbt hat es mir mein Vater. Er läuft sehr, sehr schlecht und ist auch schon schlimm gestürtzt und hat sich ein gebrochenes Handgelenk und eine gebrochene Kniescheibe dabei zugezogen. Er hat die Diagnose erst spät vor ca einem halben Jahr bekommen. Ich selbst bin 33 Jahre alt und habe einen 1 jährigen Sohn. Ich habe Angst, dass ich ihm ebenso die Mutation vererbt habe. Ab wann darf bzw sollte man denn seine Kinder testen lassen? Gibt es sinnvolle Versicherungen, die man noch vor Bekanntwerden der Krankheit abschließen kann? Ich habe bisher noch keine nennenswerten Symptome bei mir festgestellt. Vielleicht stolpere ich öfter mal und habe Schmerzen in den Beinen aber angesprochen auf eine auffällige Gangart wurde ich beispielsweise noch nicht. Was mache ich denn jetzt? Stehen mir ärztliche Unterstützung sowie Physiotherapien schon zu oder muss es mir da erst viel schlechter gehen? Ich möchte nicht warten bis es zu spät ist etwas zu tun.
Vielen Dank im Voraus für Ihre/Eure Antworten
Liebe Grüße
Ramona

Re: Diagnose - nächste Schritte

BeitragVerfasst: Do 9. Feb 2017, 10:56
von Rudi
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Hallo Ramona,

zunächst herzlich willkommen bei uns im Forum „Ge(h)n mit HSP“. Es ist prima, dass du dich so kurz nach Erhalt deiner Diagnose hier meldest. Du stellst bereits die absolut richtigen Fragen! Ich versuche, dir einiges zu beantworten. Scheue dich auch bitte nicht, bei Fragen anzurufen.

Das Gen SPG31 enthält den „Bauplan“ für das Protein REEP1. Weil das SPG31 einen Fehler enthält, nämlich die Mutation, wird das herzustellende Eiweiß REEP1 fehlerhaft hergestellt und kann seine eigentliche Aufgabe nicht erfüllen. In der Folge bekommt der Nerv im Rückenmark, der für die Bewegungssteuerung zuständig ist, ein Problem und ist nicht mehr in der Lage, richtig zu arbeiten. Die Folge ist die HSP-Symptomatik. Wenn man nichts macht, dann nehmen die typischen HSP-Probleme kontinuierlich zu. Ich schreibe das nur, weil dadurch klar werden soll, dass die richtige und intensive Physiotherapie absolut notwendig ist. Mache sie so früh und so intensiv wie möglich. Achte bitte unbedingt darauf, dass die Physiotherapeuten eine neurologische Ausbildung haben. Bei uns ist an erster Stelle ein Nerv betroffen, dann erst –in Folge– der Muskel. Beachte bitte auch, dass du mit HSP zu der Gruppe der chronisch Kranken gehörst. Da ist die sonst übliche Maximalgrenze an Behandlungseinheiten aufgehoben. Das ist per Gesetz geregelt.

Ganz wichtig ist es, dass du dich in einer HSP-Spezialambulanz anmeldest und dich dort etwa einmal jährlich vorstellst. Dort sind Ärzte, die sich mit unserer seltenen HSP wirklich gut auskennen. Das heißt, dass sie sehr klar die richtigen Fragen stellen und dass sie auch die Begleiterscheinungen der HSP richtig und vor allem frühzeitig erkennen. Sie können die Behandlung dann auch entsprechend anpassen. Du findest hier die notwendigen
Infos zu solchen Sprechstunden.

Nun zu deinem Kind. Beim SPG31, das ein dominantes Gen ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass du es vererbst bei 50%. Ich rate dir aber davon ab, bei deinem Kind schon jetzt die Gendiagnostik machen zu lassen. Sieh dich selbst als ein Beispiel, dass das nichts bringt. Du bist jetzt 33 Jahre alt und hast bisher kaum etwas von HSP gespürt. Du hast sicher eine ganz unbeschwerte und glückliche Kindheit und Jugend gehabt. Warum soll es deinem Sohn anders gehen? Natürlich ist die Frage von Versicherungen berechtigt. Aber, es ist doch schon mehr als ungewöhnlich, wenn bei einem so jungen Menschen eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen würde. Ich gebe dir im Zusammenhang mit dem SPG31 den Rat, derzeit nichts zu machen. Warte da ab, bis dein Sohn erwachsen ist und es selbst entscheiden kann.

Bedenke in diesem Zusammenhang bitte auch, welche enormen Fortschritte die HSP-Forschung in den letzten Jahren gemacht hat. Du magst nun denken, dass dir das nicht hilft, weil es trotz dieser Fortschritte noch keine Heilung gibt. Ja, das stimmt und das ist leider bis heute so und das liegt zum Teil auch an uns selbst. Das lässt sich nur dadurch ändern, dass wir uns selbst in der Forschung engagieren. Wir müssen unbedingt bei HSP-Forschungsprojekten als Patienten mitmachen und wir müssen durch Spenden intensiv dafür sorgen, dass unsere Forschung nach vorne kommt. Ich bin mir da sehr sicher, dass wir dann gewinnen werden und gesund werden, wenn sich die HSP’ler aktiv einbringen und sich engagieren.

Eine Bitte zum Schluss. Du schreibst, dass du noch so gut wie keine HSP-Symptome hast. Achte bitte darauf, dass du nun nicht ständig nach solchen Symptomen suchst und dich so selbst krank machst. Lebe dein Leben und genieße es. Das ist die beste Medizin.

Herzliche Grüße
Rudi




Re: Diagnose - nächste Schritte

BeitragVerfasst: Do 9. Feb 2017, 17:22
von Moni83
Hallo Rudi,
herzlichen Dank für deine ausführliche und ehrliche Antwort.
Das hilft mir sehr weiter.
Ich habe auch schon einen Termin in Erlangen.

Ganz kurz noch, läuft die Mutation SPG31 grundsätzlich eher langsam und milde ab oder ist das bei jedem anders?

Vielen Dank und ich werde auch meinen Beitrag leisten und wünsche allen Betroffenen alles Gute.
Lieben Gruß

Re: Diagnose - nächste Schritte

BeitragVerfasst: Do 9. Feb 2017, 18:21
von Rudi
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Hallo Ramona,

auf deine Frage zur Geschwindigkeit und zur Stärke der HSP-Symptome bei einer Mutation im SPG31 gebe ich dir keine Antwort. Das hat einen ganz einfachen Grund. Das, was für den einen langsam ist, das sieht ein anderer eher als schnell an. Und das, was für den einen milde ist, das ist für den anderen schon kritisch. Eine Antwort auf diese Frage hilft dir also nicht weiter, weil sie nicht objektiv sein kann. Eine klare Aussage kann beim SPG31 dazu gemacht werden, dass Mutationen in diesem Gen immer die reine Form der HSP erzeugen. Die komplizierten HSP-Formen, die sind bei dieser Form nicht bekannt und in der Literatur auch nicht beschrieben.

Ich vermute, dass die HSP-Forscher in Erlangen auch die "Spastic Paraplegia-Rating-Scale" (=SPRS) einsetzen. Das ist ein Verfahren, bei dem bestimmte Parameter (wie das Laufen oder das Treppengehen) gemessen und mit Punkten bewertet werden. Das ist dann eine Bewertung, die frei ist von persönlichen Empfindungen und Gefühlen. Sie ist also objektiv. Du kannst es ja in Erlangen einmal ansprechen, ob sich deine Frage anhand der vorliegenden Daten von anderen HSP'lern über die SPRS beantworten lässt.

Herzliche Grüße
Rudi



Re: Diagnose - nächste Schritte

BeitragVerfasst: Fr 10. Feb 2017, 22:37
von Moni83
Hallo Rudi,
vielen Dank für den Tipp bezüglich der SPRS.

Ich hätte noch eine letzte Frage. Gibt es Sportarten, die man als HSPler grundsätzlich meiden sollte? Ich trainiere gerade mit EMS, was mir wirklich große Freude bereitet und hoffe, dass es durch den Muskelaufbau sogar positiv wirkt. Ich bin wirklich froh diese Art von Training für mich gefunden zu haben und wäre traurig wenn es dahingehend Probleme gibt.

Viele Grüße
Ramona

Re: Diagnose - nächste Schritte

BeitragVerfasst: Sa 11. Feb 2017, 09:43
von Rudi
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Hallo Ramona,

ich kenne EMS als Sportart nicht. Das, was ich gerade gelesen habe, das macht mich zur Beantwortung deiner Frage auch nicht wirklich schlau. So, wie ich das jetzt verstehe, bekommst du durch diese Technik Strom an deine Muskeln. Die reagieren, ziehen sich zusammen und arbeiten also. Das hört sich gut an. Einziges Problem ist, dass die Impulse, die der Strom gibt, im gesunden Körper von den Nerven kommen. Die sind bei uns aber durch die HSP geschädigt. Wenn nun der Nervenimpuls durch Strom quasi ersetzt wird, dann kann ich derzeit nicht beurteilen, ob das auch einen Effekt auf den Nerv hat. Falls das so sein sollte, dann müsste ein Arzt sagen, ob dieser Effekt positiv oder negativ ist.

Es gibt eine Therapie namens FES, die mit diesem Prinzip arbeitet. (
Details siehe hier). Weil Therapien gut durchdacht sein müssen und richtig angewandt werden müssen, erkennst du, warum ich dir hier nicht sagen möchte, dass du dieses Training unbedingt weitermachen oder unbedingt stoppen solltest. Weil du ja in Kürze in Erlangen bist, solltest du auch diese Frage dort abklären.

Gruß
Rudi



Re: Diagnose - nächste Schritte

BeitragVerfasst: Mo 13. Feb 2017, 17:36
von Hinzes
Hallo Ramona,

Bei meinem Mann und unserer Tochter ist es auch SPG31 REEP1.
Wenn du magst können wir uns da gern mal austauschen. Gern auch per PN!

Lieben Gruß

Nicole