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Inkontinenz bei HSP - ein leidvolles Thema

BeitragVerfasst: Do 1. Dez 2011, 21:44
von Nicole
Eines der besonders die Lebensqualität beeinträchtigenden Leitsymptome der HSP ist die Miktionsstörung *, die Störung der Blasen- und in einigen Fällen auch der Darmentleerungs-Funktion (Defäkation). Probleme bestehen in Form von

Harninkontinenz - (unwillkürlicher Abgang von Urin zwischen den Toilettengängen, beim Niesen oder Husten, bei Stress oder z. B. sportlicher Belastung)
Dranginkontinenz ** (auch: imperativer Handrang; kortikal enthemmte Blase mit erhöhter Entleerungsfrequenz ohne pathologisch erhöhte Harnmenge)
Harnretention ***(spinale Reflexblase mit Harnverhalten, Wechsel zwischen Drang und verzögerter Entleerung, Miktion mit Unterbrechung des Harnstrahles, evtl. Harnstau, evtl. ‚Überlaufblase‘)

Herr Dr. med. Stephan Klebe (ehemals HSP-Ambulanz Kiel, nun Hôpital Pitié Salpêtrière, Paris) hält die auf die HSP bezogene Blasen-Symptomatik für eine ‚Kombination aus kortikal enthemmter und spinaler Reflexblase, kann aber ‚keine 100%tige Antwort auf diese Frage geben, denn es gäbe ‚nicht viele standardisierte Untersuchungen hierzu‘, obwohl seiner Meinung nach ‚zwischen 50 und 70 % der (HSP-)Patienten an Blasenstörungen leiden‘.

Für eine Blasenproblematik sind im Falle der Dranginkontinenz Läsionen (Schädigungen) oberhalb des sakralen Miktionszentrums verantwortlich. Das Zusammenwirken der sogenannten stop and go-Funktion (Verschluss bzw. Entleerung der Blase) ist hier gestört. Harnretention kommt dagegen durch eine Schädigung der spinalen Verbindung zwischen pontinem und sakralen Miktionszentrum **** zustande.

Anlaufstationen sind neben Neurologen und Urologen auch Neuro-Urologische Ambulanzen. Gegen die beschriebene Problematik stehen diverse Medikamente mit Wirkstoffen wie z. B. Oxybutinin oder Propiverin zur Verfügung, auch Imipramin (ein Antidepressivum) kann hilfreich sein, ist aber i. d. R. nicht das Mittel der ersten Wahl. Alpha-Blocker (Wirkstoff gegen Prostata-Beschwerden) sind auch bei Blasenentleerungs-Störungen wirksam, die alternativ mit Selbstkatheterisierungs-Maßnahmen behandelt werden müssen. Therapien wie Bio-Feedback, Beckenbodentraining oder Kegel-Technik und Hilfsmittel, z. B. spezielle Einlagen können Betroffenen das Leben leichter machen.

Zudem kommt in manchen Fällen Botolinumtoxin ***** zum Einsatz. Botolinomtoxin Typ A, ein hochtoxisches Nervengift, stellt eine Möglichkeit dar, intramuskulär injiziert die Spastik durch Blockade der Erregungsleitung der Nerven zu den Muskeln zu reduzieren und kommt auch bei neurologisch bedingten Blasenproblemen zum Einsatz. ‚Botox‘ ist in Deutschland bislang nur für den kosmetischen Sektor zugelassen, wird lediglich in Ausnahmefällen für den medizinischen Einsatz genehmigt und nur in spezialisierten Zentren (i. d. R. Unikliniken) angewendet. Der Wirkzeitraum von Botolinumtoxin beträgt jeweils in etwa drei Monate. Es sollte nicht zu häufig verabreicht werden (Behandlungsabstand mindestens 8 Wochen), um evtl. Antikörper-Entwicklung zu vermeiden.

Es gilt auch, Strategien im Umgang mit der Störung zu entwickeln, z. B., Zeitabstände zwischen den Entleerungen im Zusammenhang mit der Trinkmenge zu ermitteln (‚Welchen Bus kann ich ohne Befürchtungen nehmen?‘), zu dokumentieren, welche Getränke besonders ‚treibend‘ wirken (Mineralwasser, Kaffee?), Entfernungen richtig einzuschätzen (‚Wo ist das nächst erreichbare WC und wie schnell kann ich dort sein?‘), zur Sicherheit Einlagen zu tragen oder mit sich zu führen, notfalls auch Einmal-Waschlappen (Drogerie) und Ersatzkleidung.

Nervosität, Zeitdruck und Stress sind denkbar schlechte Begleiter! Gelassenheit und Offenheit z. B. gegenüber Familie oder Freunden dagegen wirken entspannend. Bleibt nicht aus unangebrachter Höflichkeit länger, als ihr es eigentlich riskieren könnt, im Restaurant am Tisch sitzen, ihr könnt euch ja doch nicht mehr auf das Gespräch konzentrieren. Kauft nicht weiter ein, wenn die Blase sich meldet, sondern parkt kurz euren Einkaufswagen an der Kasse. Bleibt an ganz schlimmen Tagen einfach zu Hause und tut euch etwas Gutes. Und lacht einfach mal über das, was doch nicht zu ändern ist.

Das alles lernt man ganz sicher nicht von Heute auf Morgen, aber nur Mut! Mithilfe der erwähnten Taktik komme ich nun schon eine ganze Weile recht gut zurecht - ohne Medikation.

Hinweis: Bei den o. g. Wirkstoffe, Hilfsmittel oder Therapien handelt es sich lediglich um Vorschläge. Nur euer behandelnder Arzt kann entscheiden, was für euch geeignet bzw. sinnvoll ist!

Eine Zusammenstellung div. Quellen und Links zum Thema Inkontinenz kann bei der Verfasserin nachgefragt werden

* Miktionsstörung: http://de.wikipedia.org/wiki/Miktion
** Pollakisurie: http://books.google.de/books?id=Ss-1p4e ... ie&f=false
Detrusorhyperreflexie: http://books.google.de/books?id=JeXAsJy ... ie&f=false
*** Detrusor-Sphincter-Dyssynergie: http://de.wikipedia.org/wiki/Detrusor-S ... yssynergie
**** Miktionszentrum: http://flexikon.doccheck.com/Miktionszentrum
Das sakrale Miktionszentrum befindet sich im unteren Bereich des Rückenmarks, dem sogenannten Sakralmark und koordiniert durch Nervenfasern die Ausführung der Blasenfunktion (anspannen / entspannen).
Das pontine Miktionszentrum hat seinen Sitz im Hirnstamm. Von hier aus wird der Nervenimpuls über lange Bahnen an sein Ziel im unteren Rückenmark geleitet.
***** Botulinumtoxin: http://de.wikipedia.org/wiki/Botulinumtoxin


Studie zur HSP:
http://peer.ccsd.cnrs.fr/docs/00/55/27/ ... 180331.pdf
‚Bladder dysfunction in hereditary spastic paraplegia: what to expect?‘, Mark Braschinsky,, Inga Zopp, Mart Kals, Sulev Haldre, Katrin Gross-Paju, University of Tartu, 2009, J Neurol Neurosurg Psychiatry 2010;81:263-266 doi:10.1136/jnnp.2009.180331
Deutsche Übersetzung:
http://www.hsp-verein.de/fileadmin/user ... aly%85.pdf
‚Blasenstörungen bei Hereditärer Spastischer Spinalparalyse‘, Kristin Eickelberg

Inkontinenz-Beitrag in Langform / 01/2013

BeitragVerfasst: So 20. Jan 2013, 20:17
von Nicole
Hallo,

aus aktuellem Anlass findet ihr hier die Ursprungsversion (mit Quellen und frisch überarbeiteten Links) meines gekürzt veröffentlichen Artikels vom Dezember 2011.

Schöne Grüße!

Nicole