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Diagnostik bei Neugeborenem?

BeitragVerfasst: Mi 12. Mär 2014, 09:36
von bkrolli
Guten Tag zusammen,

bin mittlerweile im 8. Monat schwanger und möchte sobald es geht erfahren ob mein Nachwuchs auch betroffen ist, um so früh es geht mit der Behandlung zu beginnen.

War vor einigen Jahren zur genetischen Beratung im Aachener Klinikum. Dort wurde HSP als höchstwahrscheinlich diagnostiziert. Da sich jedoch meine Familie nicht bereiterklärte diese Diagnose zu festigen, ist meine Diagnose nicht hundertprozentig.

Nachdem ich beim Klinikum um Hilfe bat, bekam ich diese Antwort:

Bezug nehmend auf Ihre E-Mail von heute Morgen, möchten wir Ihnen mitteilen, dass eine genetische Testung des Nachwuchses aus verschiedenen Gründen nicht sinnvoll bzw. nicht zulässig ist.

1. Die bei Ihnen gefundene Mutation ist nicht eindeutig in der Frage der Pathogenität geklärt.

2. Eine prädiktive Testung von Kindern im Hinblick auf Erkrankungen, die nicht behandelbar sind und die in unterschiedlichem Lebensalter auftreten können, ist nach dem Gendiagnostikgesetz (gültig seit 2010) nicht erlaubt. Hiermit wird das Recht des Kindes gestärkt, später, wenn es einwilligungsfähig ist, selbst entscheiden zu können, ob es sich testen lassen will oder nicht. Dies entspricht auch den Richtlinien unserer Fachgesellschaft.

Ich bin sicher, dass Sie diese Überlegungen gut nachvollziehen können und wünsche Ihnen für den weiteren Schwangerschaftsverlauf alles Gute.

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Ich kann diese Überlegungen nicht nachvollziehen, denn ich trage eine riesen Verantwortung unter meinem Herzen und möchte so früh es geht wissen ob mein Nachwuchs betroffen ist.

Kennt sich da jemand aus, was ich da machen könnte?

Liebe Grüße

Birgit

Re: Diagnostik bei Neugeborenem?

BeitragVerfasst: Mi 12. Mär 2014, 14:45
von Rudi
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Hallo Birgit,

bitte gehe davon aus, dass die Aussage deiner Ärzte richtig ist. Das Gendiagnostikgesetz enthält den
"§ 14 Genetische Untersuchungen bei nicht einwilligungsfähigen Personen". Die Überschrift enthält den Begriff "nicht einwilligungsfähig". Nicht erwachsene Personen ‒und damit dein Baby‒ gehören dazu. In §14 ist geregelt, dass genetische Untersuchungen nur durchgeführt werden dürfen, "....um bei der Person eine genetisch bedingte Erkrankung oder gesundheitliche Störung zu vermeiden oder zu behandeln oder dieser vorzubeugen, oder wenn eine Behandlung mit einem Arzneimittel vorgesehen ist, dessen Wirkung durch genetische Eigenschaften beeinflusst wird....." Das trifft bei unserer HSP aber alles nicht zu; sie lässt sich weder vermeiden, noch behandeln und auch nicht vorbeugen. Daher darf der Arzt die genetische Untersuchung nur machen, wenn die betroffene Person selbst zugestimmt hat. Denn jeder hat das Recht auf Nichtwissen. Und um diesem Recht zu genügen, darfst du das für dein Baby auch nicht entscheiden. Das Recht der Entscheidung liegt bei deinem Kind, sobald es erwachsen ‒d.h. einwilligungsfähig‒ist. Dieses Recht ist auch gesetzlich festgeschrieben.

Bedenke bitte, dass die Nachteile des Wissens über eine genetisch veranlagte Erkrankung groß sein können. Denke nur an Versicherungen, wie Lebensversicherung, Erwerbsunfähigkeitsversicherung und viele mehr, die dann entweder gar nicht mehr oder zu sehr hohen Kosten abgeschlossen werden können. Diese Nachteile sind nur beispielhaft aufgeführt.

Ich vermute, dass es bei dem Gesetz eine Ausnahme gibt, wenn die genetische Erkrankung bereits ausgebrochen ist. Ich sage bewusst, dass ich das vermute. Da müsste sich ein Jurist zu äußern. In deinem Fall, oder besser in dem deines Kindes, ist das Gendiagnostikgesetz anzuwenden und das ist sehr eindeutig.

Natürlich hast du eine ganz andere Möglichkeit. Lasse dein Blut in Tübingen im Hochdurchsatzsequenzierer untersuchen. Falls du jetzt den Kopf schüttelst, dann bedenke bitte, dass du deine Mutation ja noch nicht kennst. Sollte nun bei deiner Diagnose herauskommen, dass du selbst eine rezessive Form der HSP hast, dann ist es so gut wie ausgeschlossen, dass dein Kind krank wird. Falls dich das wundert, weil ja immer von einem Risiko von 25% bei rezessiven Erbkrankheiten gesprochen wird, so musst du bitte bedenken, dass diese 25% nur gelten, wenn beide Partner HSP-Genträger sind. Dein Mann müsste also selbst Träger der HSP-Mutation sein. Ich glaube es nicht, dass das wahrscheinlich ist. Sollte sich bei dir eine rezessive Form nachweisen lassen, dann könnte sich dein Partner immer noch testen lassen. Hätte er dann die HSP-Mutation nicht, dann hätte dein Baby kein Risiko. Denn bei der rezessiven HSP muss immer das entsprechende Gen sowohl von Vater, wie auch von Mutter mutiert sein und ans Kind weitergegeben worden sein.

Deshalb nochmals mein Tipp: Mache den Test in Tübingen. Genaueres dazu findest du im Beitrag
"HSP-Gendiagnose -- Nutzung des Hochdurchsatzsequenzierers".

Herzliche Grüße
Rudi

Re: Diagnostik bei Neugeborenem?

BeitragVerfasst: Do 13. Mär 2014, 10:00
von Rudi
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Hallo Birgit,

unten ein aktueller Artikel aus "Die Welt" vom 12.3.2014, also von gestern. Du siehst, dass deine Frage momentan auch in den USA in einem größeren Zusammenhang diskutiert wird. Ich kann es mir vorstellen, dass zukünftig auch in Deutschland Überlegungen angestellt werden, das Gendiagnostikgesetz zu verändern. Ob das geschieht und wie lang das dann dauert, das kann dir im Moment sicherlich niemand seriös beantworten.

Zudem wird im Beitrag unten angesprochen, dass in den USA überlegt wird, eine Genomanalyse bei allen Neugeborenen durchzuführen. Die Genomanalyse ist ein Verfahren zur Ermittlung der Erbanlagen eines einzelnen Menschen. Dazu werden Aufbau und Funktion der gesamten Erbsubstanz (Genom) auf Anlagen hin geprüft, die beim Träger krankheitsauslösend sind, oder einen Überträgerstatus charakterisieren oder Anfälligkeiten bezüglich bestimmter Umwelteinflüsse darstellen können.

Es lässt sich sicher trefflich darüber diskutieren, ob das sinnvoll und vertretbar ist. Du wolltest ja auch nicht soweit gehen, sondern wolltest ja "nur" ein Gen überprüfen lassen. Es könnte aber der einzige Weg sein, das Gendiagnostikgesetz zu verändern.

Gruß
Rudi
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Bild

12.03.14
Gentest hilft kranken Neugeborenen

US-Forscher scannen die DNA von 400 Babys

Kira Walker war gerade drei Wochen alt, da stellte ihre Mutter fest: Etwas stimmt nicht mit ihrem Kind. Das Baby war ständig hungrig. Der Kinderarzt diagnostizierte einen gefährlich niedrigen Blutzuckerspiegel, was auf Dauer zu Hirnschädigungen führen kann. Alle Therapien schlugen fehl. Schließlich riet der Arzt den verzweifelten Eltern, das Mädchen genetisch untersuchen zu lassen. Nur zwei Tage später lag ein Testergebnis des kompletten Genoms vor: Das Mädchen hatte eine Mutation von seinem Vater geerbt, die die Insulinproduktion beeinträchtigt. Allerdings trugen nicht alle Zellen diese Veränderung. Die Hälfte der Bauchspeicheldrüse wurde entfernt – sechs Monate nach dem Eingriff war Kira gesund.

Jedes Jahr kommen in den USA Tausende todkranke Kinder auf die Welt. Noch bevor die Ärzte wissen, woran sie leiden, sind sie tot. Vielleicht hätte manchen ein Gentest helfen können. Oder die Eltern hätten erfahren können, was sie bei einer erneuten Schwangerschaft bedenken müssen. Das Nationale Gesundheitsinstitut der USA hat nun vier Projekte an zwei Universitäten und zwei Krankenhäusern – darunter die Kinderklinik, die Kira behandelte – mit fünf Millionen Dollar (3,6 Millionen Euro) ausgestattet, um die Chancen und Risiken von Gensequenzierungen von Neugeborenen abzuschätzen. In einem Bostoner Krankenhaus etwa sollen 400 Babys genetisch untersucht werden, die anscheinend völlig gesund auf die Welt kommen. Im Alter von fünf Jahren wollen die Forscher dann überprüfen, ob das Wissen um die genetische Veranlagung die Entwicklung und Behandlung der Kinder im Vergleich zu Kindern beeinflusst hat, die nur den üblichen Routineuntersuchungen unterzogen wurden.

Die Universitäten wollen sich in erster Linie mit ethischen und juristischen Fragen befassen: Wie sieht eine umfassende genetische Beratung der Eltern aus? Wer darf Zugang zu hochsensiblen Daten haben? Was fangen Eltern mit dem Wissen an, dass ihre Kinder Genmutationen in sich tragen – Defekte, die sich behandeln lassen, und solche, von denen heute noch niemand weiß, welche Krankheiten sie vielleicht zur Folge haben werden? Dass die Genomsequenzierung speziell von Neugeborenen dennoch ein richtiger Schritt sei, glaubt Hans-Hilger Ropers, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. "Da wird ein Kind mit Fehlbildungen geboren, die zum Teil operativ korrigiert werden. Doch dann kommt es zu extremen Gedeihstörungen, man stellt alles Mögliche an, um das Kind am Leben zu halten, aber schließlich versagt die Leber." Ein Gentest hätte vielleicht helfen können, schneller eine Antwort zu finden.



Quelle: http://www.welt.de/print/die_welt/wissen/article125698732/Gentest-hilft-kranken-Neugeborenen.html

Re: Diagnostik bei Neugeborenem?

BeitragVerfasst: Do 27. Mär 2014, 11:01
von Albert
Hallo Birgit,

ich komme aus Österreich, bin 33 Jahre alt, habe HSP und bin Vater von zwei Töchtern (5 und 3 Jahre). Bei der letzten Kontrolluntersuchung an der Uni-Klinik Innsbruck habe ich meine behandelnde Ärztin auch gefragt, was sie von einer Diagnose bei meinen Kindern hält.

Sie war vehement dagegen. Erstens aus den schon oben genannten rechtlichen Gründen.

Sie gab mir außerdem ein paar Gedanken auf den Weg, die mich von der Idee einer Diagnose wieder abbrachten:

Sie meinte erstens, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass es Menschen mit Genschädigung gebe, bei diesen die Krankheit aber nie ausbreche. Die hätten im Fall einer positiven Diagnositik ständig das Gefühl krank zu sein bzw. warten nur auf das Ausbrechen der Krankheit, obwohl nie etwas passiert. Das ist auch eine nicht zu unterschätzende Belastung für die Betroffen.

Weiters sagte sie mir noch wörtlich: "Ich weiß, dass es herzlos klingt. Aber die HSP ist eine Krankheit, mit der man durchaus gut leben kann. Wir Medizine sind da vielleicht etwas abgebrüht, aber wenn man täglich mit Patienten zu tun hat, von denen man weiß, dass sie vielleicht bald sterben, ist die HSP nicht so schlimm."

Irgendwie hat sie damit Recht, finde ich.

Re: Diagnostik bei Neugeborenem?

BeitragVerfasst: Mi 18. Jun 2014, 08:57
von Rudi
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Hallo zusammen,

vor gut einem Jahr hatte Birgit geschrieben, dass Sie es gerne wissen möchte, ob ihr damals noch ungeborenes Kind eventuell von ihr die HSP-Mutation vererbt bekommen hat. Ich bin mir sehr sicher, dass sie heute die stolze Mutter eines gesunden Kindes ist!

Die Antworten, die sie von Mitgliedern unseres Forums erhielt, stellten alle die momentan gültige rechtliche Situation dar und griffen auch die ethischen Fragen auf. Heute habe ich zu diesem Thema einen neuen Zeitungsartikel gelesen; genau genommen behandelt er die Gendiagnostik beim Ungeborenen. In ihm wird von einem Amerikaner berichtet, der auf eigene Faust die Genanalyse bei seinem noch ungeborenen Sohn durchgeführt hat.

Der Artikel ist interessant. Er greift die derzeit möglichen Techniken zur Gendiagnostik bei Ungeborenen auf, geht aber auch sehr klar auf die Problematik ein, die in diesen Möglichkeiten liegt. Es lohnt sich, diesen Beitrag zu lesen, der unter der Überschrift
"Der Genom-Rebell" in "Technology Review; Das Magazin für Innovation" am 18.6.14 erschienen ist.

Natürlich geht der Artikel nicht auf unsere HSP ein, sondern befasst sich grundsätzlich mit dem Thema.

Herzliche Grüße
Rudi