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Fallstudie - Sportlerherz bei HSP?

BeitragVerfasst: Do 1. Nov 2018, 16:29
von gerald
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Dieser Beitrag wurde durch Dr. Gerald Fischer
im Forum „Ge(h)n mit HSP“ veröffentlicht





Mein Name ist Gerald Fischer. Ich arbeite seit über zwanzig Jahren im Bereich der Forschung und Produktentwicklung für die Medizintechnik. Ich habe einen nahen Angehörigen, der von einer komplexen Form der HSP betroffen ist. Dadurch habe ich begonnen, mich mit HSP zu beschäftigen und daraus ist eine erste Veröffentlichung hervorgegangen. Diese wurde vor kurzem auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik vorgestellt [Fischer G. et al. Current Directions in Biomedical Engineering 4 (2018)]. Gerne komme ich Rudi Kleinsorges Einladung nach, die Ergebnisse hier kurz zusammenzufassen:


Die Arbeit ist ein Fallbericht zu einem jungen Patienten mit HSP vom Typ SPG11. Bei Routine-Untersuchungen an der Kinderklinik der Medizinischen Universität Innsbruck wurde im Rahmen der Diagnostik und der klinischen Betreuung wiederholt festgestellt, dass der Patient eine leichte Bradykardie aufwies. D.h. der Rhythmus des Herzschlags war bei mehreren Untersuchungen auf knapp unter 60 Schläge pro Minute verlangsamt. Eine verlangsamte Herzrate knapp unterhalb der klinischen Definition einer Bradykardie muss für sich alleine keinen Krankheitswert darstellen. Bei trainierten Ausdauersportlern ist das sogar normal. Bei einem Patienten, der aufgrund seiner Bewegungseinschränkung aber schlecht trainiert ist, ist dieser Befund jedoch überraschend.

Daher wurde die Frage gestellt, ob zusätzlich zur HSP auch eine versteckte Herzerkrankung vorliegt oder ob die HSP den verlangsamten Herzschlag auslösen kann? Unser Herz wird ja vom Nervensystem gesteuert und – zumindest Teile davon – sind von der HSP betroffen.

Es gibt Messverfahren, um den Einfluss des autonomen Nervensystems auf das Herz-Kreislaufsystem zu beurteilen. Das Grazer Unternehmen CN-Systems hat den Task-Force-Montitor entwickelt. Dieser misst "Schlag für Schlag" Schwankungen im Herzrhythmus und im Blutdruck (Abbildung 1). Diese "Schlag für Schlag" Schwankungen sind normal. Sie sind sogar notwendig, damit unser Nervensystem den Blutdruck einstellen kann.

Der Task-Force-Monitor berechnet aus den gemessenen Schwankungen Parameter, welche eine Beurteilung zulassen, ob das Nervensystem das Herz korrekt steuert. Besonders in der Forschung ist das Verfahren gut etabliert. Es wurde z.B. Anfang des Jahrtausends verwendet, um die Herz-Kreislaufsteuerung bei Astronauten in der Schwerelosigkeit zu untersuchen.

Zurück auf die Erde und zur HSP: Bei dem untersuchten Patienten würde eine starke Erhöhung eines Parameters - der Barosensitivutät - festgestellt. Was bedeutet das?

Unser Nervensystem steuert den Blutdruck u.a. über Reflexe. In der Wand der Hauptschlagader gibt es Zellen - die Barorepeptoren - welche auf den Blutdruck empfindlich sind und die Information über einen sensorischen Nerv zum Hirnstamm weiterleiten. Über einen Reflexbogen steuert diese Information auch die Herzrate. Das hat folgenden Zweck: wenn wir z.B. aufstehen, dann sinkt durch die Lageänderung der Blutdruck. Um das auszugleichen, treibt der Baroreflex das Herz kurz an. D.h. der Baroreflex hilft uns dabei, Blutdruckschwankungen bei Lageänderungen auszugleichen.

Bild

Abbildung 1: Oben: Ruhe EKG eines 18-jährigen Patienten mit HSP vom Typ SPG 11. Die Abstände zwischen den R-Zacken sind eingezeichnet. Für die dargestellte Sequenz nimmt die Dauer zwischen den Herzschlägen zu. Unten: Kontinuierliche Blutdruckkurve im selben Zeitintervall wie oben. Für die gezeigt Sequenz nimmt der Systolische Blutdruck von Schlag-zu. Diese Zunahme ist hier schwächer als im Normalfall, da der erhöhte Baroreflex Druckschwankungen unterdrückt.



Beim untersuchten HSP-Patienten war der Baroreflex erhöht. Das ist nicht unplausibel, weil Spastik ja grundsätzlich mit einer Verstärkung der Reflexe einhergeht. Es ist aber kaum dokumentiert, dass Spastik auch Auswirkungen auf den Herzrhythmus haben kann.

Was bedeutet diese Fallstudie für HSP-Patienten insgesamt? Eine gute Nachricht vorneweg - es gibt keinen Grund aufgrund der Fallstudie zu befürchten, dass HSP auch Schäden am Herz verursacht. Im Gegenteil, der untersuchte HSP-Patient war strukturell herzgesund. Interessant ist die Beobachtung, dass - zumindest in einem untersuchten Fall - die Spastik einen messbaren Einfluss auf die Steuerung des Herzens hat. Eine interessante Frage ist daher, ob man über das Verfahren objektiv beurteilen kann wie stark die spastische Tonus in der Wirbelsäule in verschiedenen Patienten ausgebildet ist? Wenn dem so wäre, dann hätte man einen objektiven Marker, um die Wirksamkeit von Medikamenten quantitativ zu untersuchen.

Die HSP-Forschung kommt nun endlich in die Phase, wo (zumindest bei manchen Formen) medikamentös erste kausale Therapieversuche unternommen werden. Auch neue Wirkstoffe zur Behandlung der Symptomatik wie z.B. neue Antispastika werden verfügbar. Es ist ein langer Weg von ersten Therapieversuchen bis hin zu zugelassenen, wirksamen Medikamenten und auf diesem Weg wird es auch Rückschläge geben. Gerade deshalb ist es in dieser Phase entscheidend, die mögliche Wirkung neuer Medikamente objektiv messen zu können, um möglichst frühzeitig die Spreu vom Weizen zu trennen zu können. Sowohl die Beurteilung der Wirksamkeit, als auch die Zulassung der Medikamente benötigen objektive Messungen.

Der Tast-Force-Monitor von CN-System ermöglicht hier eine einfache und rasche Messung des Baroreflexes – und damit möglicherweise des spastischen Tonus in der Wirbelsäule. Die Messung kann mit einem mobilen Gerät bei minimaler Belastung für den Patienten stattfinden. Da Spastik das gemeinsame Symptom aller HSP Typen ist, kann es für alle Formen von HSP von Interesse sein. Hierzu sind weitere Untersuchungen erforderlich, die zeigen, ob die Ergebnisse einer Fallstudie auf ein breites Patientenkollektiv verallgemeinert werden können.

Derzeit werden an der Privaten Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik (UMIT) in Hall in Tirol weitere Forschungs-aktivitäten zur Nutzung des Verfahrens bei HSP-Patienten vorbereitet.


Zur Person PD Dr. Gerald Fischer:
Ich habe an der Technischen Universität Graz Medizintechnik studiert und dort im Jahr 2000 promoviert. Ich war dann für zwei Jahre Forschungs¬assistent an der Abteilung für Kardiologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Ich war für die technische Betreuung und Datenanalyse von klinischen Studien bei Herzrhythmusstörungen zuständig. Ich hatte dann an der UMIT in Hall in Tirol die Leitung einer Forschungsgruppe für modellbasierten Signalanalyse in der kardialen Elektrophysiologie übernommen. Dort habe ich mich im Jahr 2007 für das Fachgebiet Biomedizinische Technik habilitiert.
Aus dieser Tätigkeit heraus habe ich im Jahr 2008 das Spin-Off Unternehmen AFreeze gegründet. Ich war dort für die Entwicklung eines Herzkatheters für die Therapie der häufigsten Herzrhythmusstörung – dem Vorhofflimmern – verantwortlich. Der Katheter und die für den Betrieb erforderlichen Geräte sind mittlerweile für den europäischen Markt zugelassen und werden neben klinischen Studien auch in der Routinebehandlung eingesetzt.
Seit 2018 arbeite ich auch im Forschungsbereich Neuroelektrophysiologie und hier insbesondere an der HSP.




Dieser Aufsatz ist hier zum Ausdruck als PDF verlinkt[/textbox]

Re: Fallstudie - Sportlerherz bei HSP?

BeitragVerfasst: Do 1. Nov 2018, 18:37
von Barbara
Das ist interessant.
Mir ist in der Reha in Bad Sooden-Allendorf wegen der niedrigen Herzschlagfrequenz auch schon zum "Sportlerherz" gratuliert worden .... :D .
Grüße
Barbara