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Möglicherweise neuer Behandlungsweg für Spastik bei Kindern

BeitragVerfasst: Di 29. Nov 2016, 10:02
von Rudi
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Hallo zusammen,

gestern erhielt ich von Beat Bachmann aus der Schweiz die Anfrage, ob ich etwas zu der Behandlungsform „Selektive dorsale Rhizotomie“ bei Kindern wisse. In den USA sei ein HSP-Kind damit behandelt worden und die Spastik habe sich entscheidend reduziert. Beat übersandte mir eine Internetseite die ich
hier verlinke. (Hier die Seite in Google-Übersetzung).

Ich habe dann nach entsprechenden Informationen in Deutschland gesucht und bin bei der
Charité fündig geworden. In dieser Seite wird von „Infantiler Zerebralparese“ gesprochen, nicht aber von HSP. Deshalb habe ich die Klinik mit folgenden Fragen angeschrieben:

  1. Haben Sie in Ihrem Bereich die „Selektive dorsale Rhizotomie“ bereits bei HSP-Patienten eingesetzt?
  2. Falls „ja“, welche Erfolge konnten Sie erzielen?
  3. Falls „nein“, gibt es irgendwelche Ausschlussgründe für die Anwendung bei HSP?
  4. Bis zu welchem Alter könnte diese Methode erfolgreich eingesetzt werden?

Heute erhielt ich bereits Antwort. Die Abkürzung SPZ steht dabei für
„Sozialpädiatrisches Zentrum“:

  • Zu 1. Einen HSP-Patienten haben wir versorgt.
  • Zu 2. Den genauen langfristigen Erfolg müssen wir bei unserem SPZ erfragen, von wo die Nachsorge erfolgt. Negative Rückmeldung haben wir nicht erhalten.
  • Zu 4. Vorschulalter ist am besten bei spastischer Zerebralparese. Das gibt es aber bei HSP nicht.
  • Eine Entscheidung zur OP sollte multidisziplinär über unser SPZ erfolgen.

Es ist klar, dass dieses Verfahren nur bei Kindern gemacht werden kann. Das Wachstum darf noch nicht abgeschlossen sein. Für Jugendliche und erst recht für Erwachsene ist es ungeeignet. Zu beachten ist ferner, dass sich nur die Spastik beeinflussen lässt. Zusätzliche Symptome, die häufig bei der komplizierten Form der HSP vorliegen, sind auf diese Art und Weise nicht beeinflussbar.

Eltern mit jungen HSP-Kindern können sicherlich ihre Ärzte auf dieses Thema ansprechen. Es ist aber stets zu beachten, dass es bisher in der Charité in Berlin nur einen HSP-Patienten gibt, bei dem dieses Verfahren zur Anwendung kam. Eure Ärzte müssen sich daher mit der Charité in Verbindung setzen.

Es ist sicher sehr hilfreich, wenn Eltern, die sich mit dieser Thematik befassen, hier im Forum über eigene Erkenntnisse und Erfahrungen berichten. So ist es erreichbar, dass nicht jeder immer wieder bei Null anfängt. Gerne kann diese Nachricht weitergeleitet werden.

Herzliche Grüße
Rudi
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Nachtrag:

Es gibt bereits eine wissenschaftliche Publikation von chinesischen HSP-Forschern zum Thema, die schon im Jahr 2014 erschienen ist. Sie trägt den Titel "Long-term results of selective dorsal rhizotomy for hereditary spastic paraparesis." und ist
hier im englischen Original und hier in der Google Übersetzung abrufbar.

Rudi



Re: Möglicherweise neuer Behandlungsweg für Spastik bei Kind

BeitragVerfasst: Mi 30. Nov 2016, 10:16
von Rudi
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Hallo zusammen,

auf meine Nachricht zur „Selektiven dorsalen Rhizotomie“ erhielt ich eine Antwort von Allen aus den USA. Allens junge Tochter hat eine Mutation im SPG3-Gen. Wie üblich bei Mutationen in diesem Gen haben sich die Symptome bereits in der frühen Kindheit gezeigt. Allen schrieb mir, dass seine Frau und er darüber nachgedacht haben, die „Selektive dorsale Rhizotomie“ bei ihrer Tochter durchführen zu lassen. Sie haben sich dagegen entschieden und haben statt dessen die Methode "SPML - selective percutaneous myofacial lengthening" gewählt. Er schreibt dazu, dass die Tochter nun leichtfüßig gehen kann und dass sie ohne fremde Hilfe stehen und ein wenig schneller laufen kann. Sie sei mobiler als früher und die Eltern erwarten, dass sich die Verbesserung im Alter fortsetzt. Allen hält aber ausdrücklich fest, dass auch diese Methode keine Heilung der HSP ist. Es geht ganz speziell darum, die spastische Störung zu reduzieren. Das ist auch einleuchtend, weil die Ursache der HSP, nämlich der genetische Fehler, so nicht korrigierbar ist.

Die von Allen angesprochene Methode ist ebenfalls nur bei Kindern machbar. Sie ist in Deutschland unter dem Namen "Ulzibat-Methode (perkutane Myofasziotomie)" bekannt. Ich weiß von zwei Kliniken, in denen dieses Verfahren praktiziert wird. Zum einen ist das die
Schön Klinik München und zum anderen die Praxis für Sportorthopädie in Wernau. Die beiden verlinkten Internetseiten geben eine gut verständliche Information zu der Methode. Ich weiß, dass sie in der Schön Klinik bei einem HSP'ler angewandt wurde. Notwendig ist es in jedem Fall, dass ihr eure Ärzte darum bittet, sich mit einer der Kliniken in Verbindung zu setzen, um euch anschließend umfänglich informieren zu können. Ich gehe daher in diesem Beitrag nicht auf die Unterschiede zwischen den Methoden „Selektive dorsale Rhizotomie“ und "Ulzibat" ein.

Ich bin Allen aus den USA dankbar, dass er mir die Information gegeben hat, die ich sehr gerne hier einstelle. Ihr erkennt, wie hilfreich es ist, dass die Informationen zur HSP und zu den Behandlungsoptionen in unseren Seiten auch international Beachtung finden. Durch einige Gespräche mit HSP'lern aus anderen Ländern weiß ich, dass auch die von uns geförderten Forschungsprojekte diese Aufmerksamkeit erfahren. Deshalb sei auch in diesem Zusammenhang allen HSP-Betroffenen für ihre bisherigen Projektspenden gedankt. So kommen wir weiter!!

Herzliche Grüße
Rudi





Re: Möglicherweise neuer Behandlungsweg für Spastik bei Kind

BeitragVerfasst: Do 19. Jan 2017, 19:50
von Marlis
Hallo zusammen

Erst mal vielen Dank an Rudi, der sich diesem Thema angenommen hat und uns HSP-Eltern darüber so gut informiert hat.

Wir waren heute morgen mit unserem Sohn Alex (SPG3A), 4 Jahre alt, wieder mal im UKBB in Basel bei der Neuropädiatrie und der Neuroorthopädie zur Kontrolle.

Natürlich haben wir die Neurologin auf die Selektive dorsale Rhizotomie und die Ulzibat-Methode angesprochen und gefragt was sie davon hält und ob Alex dafür ein Kanditat sei. Sie weiss von 2 Fällen wo dies bei HSP Patienten durchgeführt wurde. Beim einen war der Erfolg ihres Erachtens mässig und beim anderen Fall waren die Verbesserungen etwas erfreulicher. Sie war nicht grundsätzlich gegen einen solchen Eingriff, aber in unserem Fall, findet die Neurologin, wäre der Eingriff bei Alex etwas zu früh, da die anschliessende REHA auch recht anspruchsvoll und mit kleineren Kindern schwieriger ist erfolgreich durchzuführen. Weiter, findet sie, und das war eigentlich für uns recht erfreulich zu hören, geht es dem Alex den Umständen entsprechend sehr gut, resp. zu gut um einen solchen Eingriff gutzuheissen.

OK, wir werden aber sicher weiter dranbleiben und dieses Thema bestimmt wieder mal ansprechen, sollte sich Alex sein Zustand merklich verschlechtern. Bis dahin werden wir weiter fleissig Fahrrad fahren, schwimmen, Physio, massieren, dehnen, Osteopathie, Unterschenkelorthese tragen, spielen und rumtoben.

Liebe Grüsse

Marlis und Familie

Re: Möglicherweise neuer Behandlungsweg für Spastik bei Kind

BeitragVerfasst: So 26. Feb 2017, 13:30
von ChrisSae
Hallo zusammen,
ich möchte die Anregung, dass sich hier Eltern zur "Selektive dorsalen Rhizotomie" bzw. zur "Ulzibat-Methode" austauschen, aufgreifen. Da wir beides für unseren Sohn auch schon überlegt haben, berichte ich über unsere Erfahrungen.
Unser Sohn ist jetzt 7,5 Jahre alt, er fiel seit Geburt auf durch Rumpfhypotonie, dann kam die Spastik in den Füßen dazu. Er läuft frei auf Spitzfüßen und innenrotiert, ist insgesamt sehr bewegungsfreudig (v.a. rennt er gern), längere Strecken, bei denen man gleichmäßig langsam gehen muss, fallen ihm sehr schwer.
Wir sind in der Uniklinik Tübingen in Betreuung, es besteht der dringende Verdacht auf eine HSP, die Gen-Paneluntersuchung Anfang 2014 erbrachte allerdings kein Ergebnis.
Orthopädisch angebunden waren wir zunächst in der Schön-Klinik bei Dr. Poschmann (dort wird die Ulzibat-Methode durchgeführt), seit Herbst 2015 sind wir nun am Orthopädischen Universitätsklinikum Heidelberg bei Dr. Dreher.
Bei Dr. Poschmann/Schön-Klinik stand immer wieder im Raum, ob unser Sohn ein Kandidat für Ulizabat ist. Da Botox mehr oder weniger den gleichen Effekt hat wie die Ulizbat-OP, der Effekt aber nur von kurzer Dauer ist, haben wir uns im Herbst 2014 für eine Botox-Behandlung entschieden. Das Botox hat die Spastik erwartungsgemäß deutlich reduziert, jedoch kam dann die Rumpfhypotonie wieder deutlicher zu Tage. Zwar waren die Spitzfüße weg, das Gangbild an sich aber viel schleppender und mühsamer, Treppensteigen problematisch. Wir waren froh, als das Botox wieder abgebaut war und unser Sohn wieder rennen konnte, zwar mit dem bekannten pathologischen Gangbild, dafür war die Bewegungsfreudigkeit wieder da und somit für ihn auch mehr Lebensqualität.
Trotz dieser Erfahrung riet uns Herr Poschmann dann doch zur Ulizabat-OP (man hat leider das Gefühl, dass in dieser Klink etwas „gießkannenartig“ die Methode über alle gegossen wird). Unser Hinweis, dass das Botox für ihn keine Lebensverbesserung brachte, wurde unwirsch hinweggegangen und lapidar hinzugefügt, dass man ja mit Ulzibat auch nicht viel riskiere, da sich auch dieser Effekt nach ca. 5 Jahren auswachsen wird. 5 Jahre sind für ein Kind eine Ewigkeit!

Einschub: Wir kennen einige Kinder, die nach Ulzibat operiert wurden und davon sehr profitiert haben, allerdings sind das alles Kinder mit klassischer Zerebralparese, keine HSPler.

Wir haben uns dann eine Zweitmeinung bei Dr. Dreher in Heidelberg geholt. Sämtliche Möglichkeiten, Spastik zu reduzieren, wurden durchgesprochen, allerdings nicht nur mit ihm alleine, sondern im Rahmen der sog. Tonus-Sprechstunde mit 2 weiteren Ärzten (Neurochirurgin, Neuropädiaterin). In Heidelberg wird auch die Selektive dorsale Rizotomie durchgeführt, sodass auch dieser Ansatz im Raum stand. Allerdings ging dem ganzen Gespräch eine ausführliche Analyse im Ganglabor voraus, wo jede Menge Gangparameter aufgezeichnet und computergestützt ausgewertet werden. Das Ergebnis bestätigte unsere Beobachtungen mit der Botox-Behandlung: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Rumpfhypotonie und Spastik und unser Sohn kompensiert über die Spastik die Schwäche im Rumpfbereich. Daher profitiert er insgesamt nicht von einer Spastik-Reduktion und somit ist die Selektive dorsale Rizotomie auch keine Option.
Einerseits waren wir erleichtert, dass dieser nicht ungefährliche Eingriff vom Tisch war, andererseits findet man im Netzt ja etliche tolle Erfolgsgeschichten (v.a. aus Amerika), sodass wir natürlich auch Hoffnung hatten, die OP könnte der Durchbruch werden. ALLERDINGS: Die Erfolgsgeschichten beziehen sich immer auf Kinder mit einer klassischen Zerebralparese, nicht auf HSPler.

Bei unserem Sohn ist - wie sicher bei allen Kindern - natürlich immer Thema, wie durch die Wachstumsphasen hindurch Folgeschäden an den Gelenken abgewehrt werden können, v.a. die Gefahr eine Hüftluxation.
Nun rät Herr Dreher bei unserm Sohn wiederum zu einer "klassischen" OP, um die Innenrotation und damit die Belastung der Hüfte zu reduzieren (So genau haben wir noch nicht begriffen, was er machen möchte, Aufklärung folgt in einem Termin im Juni 2017).
Anfang Januar 17 haben wir von der angeratenen OP in der HSP-Sprechstunde in Tübingen erzählt. Dort gab es wieder große Fragezeichen hinter diesem Vorhaben. Auch bei diesen klassischen orthopädischen OPs basieren die Erfolgsmeldungen auf CP-Kinder, deren Krankheitsprozess abgeschlossen ist. Bei den HSPlern weiß man ja nicht, was noch kommt. Außerdem, so die Tübinger, seien Ruhigstellungsphasen bei HSPlern durch OPs immer kritisch, da sie eher zu einer Verschlechterung führen.

Unser Fazit: Die Einschätzung, was OPs bringen könnten, ist bei HSPlern sehr kompliziert und man muss sehr wachsam sein, was einem Ärzte raten aufgrund irgendwelcher Erfolge, denn oft stützen sich diese auf CP-Kinder und die Erfolgsstatistiken sind mit Vorsicht zu genießen. Leider lässt einen diese Erkenntnis etwas ratlos zurück.

Daher wieder die Frage zurück ins Forum, auch an die Erwachsenen hier: Was ist eure Erfahrung mit orthopädischen OPs?

Viele Grüße an alle!