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Fragen und Antworten zum Vortrag von Frau PD Dr. Schüle

BeitragVerfasst: Di 20. Okt 2020, 15:04
von Rudi
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Fragen an Frau Dr. Rebecca Schüle und ihre Antworten
zum Online-Vortrag beim HSP-Info-Tag 2020 in Bremen


Woher kommen die Symptome der HSP?
Welche Symptome sind für die HSP typisch?
...................................................................................Zum Video

.............................................Die Fragen und Antworten können hier als PDF geladen werden

Es gab zahlreiche, interessante Fragen zum Vortrag von Frau Dr. Schüle. Unten sind sie und die ausführlichen Antworten von Frau Dr. Schüle eingestellt.





  • Frage 1
    Meine Tochter (17 J) hat leider die komplizierte HSP Form. Es gibt sehr wenige Aussagen hinsichtlich dieser Form der HSP, aber ich wüsste gerne, wieviele ältere Patienten es gibt, oder ob es doch einen Lebens-limitierenden Einfluss aufgrund der Komplexität dieser Erkrankung gibt. Meine Tochter hat nie das freie Laufen erlernt und sitzt seit ihrer Kindheit im Rollstuhl. Sie hat die Epilepsie, teilweise Sehstörungen und beginnende Demenz an Bord.

    Insgesamt gehen wir für die Gruppe der HSPs davon aus, dass die Lebenserwartung nicht relevant eingeschränkt ist. Hier unterscheiden sich die HSPs wesentlich von anderen Motoneuronerkrankungen. Allerdings werden unter dem Oberbegriff HSP sehr viele eigentlich eigenständige Unterformen zusammengefasst, die jeweils durch den zugrundeliegenden Gendefekt definiert werden, z.B. SPG4, SPG11 etc. Jede dieser HSP-Formen hat eigene Charakteristika z.B. hinsichtlich typischem Erkankungsalter, Symptomen und Schwere des Verlaufes.

    Ähnlich wie der Oberbegriff „HSP“ fasst auch der Begriff „komplizierte HSP“ eine Gruppe von vermutlich um die 100 verschiedenen HSP-Formen zusammen. Diese können sehr unterschiedlich verlaufen. Es gibt komplizierte HSPs mit ehr langsamer Verschlechterung (z.B. SPG7) und komplizierte HSP mit tendenziell rascher Verschlechterung (z.B. SPG11 und SPG15). Wenn der spezielle Gendefekt bekannt ist, können wir in der Regel genauere und individuellere Vorhersagen darüber treffen, wie die Erkrankung weiter verlaufen wird.

    Mit diesen Einschränkungen möchte ich trotzdem versuchen, so spezifisch wie möglich auf Ihre Frage zur Lebenserwartung für die komplizierten HSPs zu antworten. Wir gehen nach aktuellem Stand der Forschung davon aus, dass auch komplizierte HSPs nicht direkt zum Tode führen. Allerdings kann die HSP zu so schweren Symptomen führen, dass Komplikationen der Erkrankung lebensgefährlich sein können. Schwere Mobilitätseinschränkungen z.B. erhöhen das Risiko für Stürze, Thrombosen und Embolien oder Wundliegen mit Wundinfektionen. Schluckstörungen können zu Unterernährung oder Lungenentzündungen führen. Dies sind nur Beispiele für eine ganze Reihe von Komplikationen einer Pflegebedürftigkeit, die lebenslimitierend sein können. Welche Risiken insbesondere für Ihre Tochter bestehen und wie diese sich ggf. reduzieren lassen, können wir gerne im Rahmen eines persönlichen Gespräches in der HSP-Ambulanz besprechen.



  • Feedback 1
    Ich fand ihren Vortrag super. Sie haben alles sehr verständlich erklärt! Vielen herzlichen Dank!

    Vielen Dank für die freundliche Rückmeldung!




  • Frage 2
    Ich komme aus dem Landkreis Vechta und hier ist die Erfahrung mit der Erkrankung sehr sehr gering.
    Ich habe zum Glück eine Neurologin gefunden, die sich sehr für mich einsetzt.
    Die Krankheit wurde dann endlich (nach 3 Jahren) diagnostiziert in Halle an der Saale.
    Aber ich weiß nicht welche Form es ist.
    Wäre es denn wichtig oder sinnvoll zu wissen welche Form der HSP man hat? Dann in diese Richtung wird nichts mehr gemacht.

    Danke für diese wichtige Nachfrage! Aus vielerlei Gründen halte ich es für wichtig, den spezifischen Gendefekt zu kennen, der Ihre HSP verursacht. Ich zähle Ihnen hier einige Gründe auf, die für viele Betroffene wichtig sind. Natürlich kann es darüber hinaus noch viele individuelle Gründe geben, warum eine genetische Diagnosesicherung wichtig sein kann.

    • Nur die Sicherung des Gendefektes kann die Diagnose einer HSP wirklich sichern. Andernfalls bleibt die HSP eine Ausschlussdiagnose; in diesen Fällen wird die Diagnose HSP gestellt, wenn in den Untersuchungen (z.B. Kernspintomographie, Nervenwasseruntersuchung, Laboruntersuchungen) keine Hinweise auf andere Ursachen der spastischen Gangstörung gefunden wird. Es bleibt damit aber immer eine kleine Restunsicherheit.

    • Sicherung des Gendefektes ist die Voraussetzung für eine Beratung bezüglich des Risikos, die Erkrankung auf Nachkommen zu übertragen. So gibt es Formen der HSP, bei denen dieses Risiko nicht gegenüber der Normalbevölkerung erhöht ist und andere Formen, bei denen das Risiko einer Übertragung auf Nachkommen 50% beträgt. Wichtig ist: selbst wenn Sie die erste und einzige Person in der Familie sind, bei der eine HSP bekannt ist, können Sie die HSP potentiell weitergeben. Eine individuelle Beratung in Kenntnis des Gendefektes ist daher unerlässlich!

    • Wie oben beschrieben umfasst der Begriff „HSP“ eine Gruppe von weit über 100 einzelnen Erkrankungen. Jede der genetischen Unterformen hat ihre eigenen Charakteristika. Kenntnis des Gendefektes ist Voraussetzung dafür, dass Ihr Arzt/Ärztin Sie individuell beraten kann, wie Ihre HSP voraussichtlich weiter verlaufen wird, welche Symptome für Ihre Form der HSP typisch sind, und wie die weitere Prognose Ihrer Erkrankung ist.

    • Wenn der Gendefekt bei Ihnen bekannt ist, haben Familienangehörige die Möglichkeit, sich auf das Vorhandensein des Gendefektes testen zu lassen. Eine solche „präklinische Testung“, also Testung vor Ausbruch einer möglichen Erkrankung, will natürlich gut überlegt sein und ist in Deutschland daher nur nach vorangegangener humangenetischer Behandlung möglich.

    • Derzeit gibt es für die HSPs noch keine Therapie, die die Erkrankung stoppen oder gar verbessern kann. Für verwandte genetische neurologische Erkrankungen sind aber gerade in den letzten Jahren wirksame Therapien zugelassen worden. Wir hoffen also, dass auch HSPs in den nächsten Jahren von diesen Fortschritten profitieren können. Eines ist aber fast allen neuen und wirksamen Therapien gemeinsam: sie richten sich an spezifische genetische Untertypen der HSP. Kenntnis des Gendefektes ist damit höchstwahrscheinlich die Voraussetzung, um von neuen Therapieentwicklungen zu profitieren.
    Und schließlich noch ein Argument, dass mir sehr am Herzen liegt: für seltene Erkrankungen wie die HSP lernen wir Ärzte von unseren Patienten. Indem wir möglichst viele Betroffene mit HSP befragen, untersuchen und über den Erkrankungsverlauf hinweg begleiten, sammeln wir viele Daten über die HSP, die wir dann wieder in individueller Beratung an Betroffene weitergeben können. Je mehr genetisch gesicherte HSP-Betroffene sich in Forschungsambulanzen (eine Übersicht der Ambulanzen in Deutschland finden Sie auf der Website des TreatHSP Netzwerkes: „https://www.treathsp.net/klinik/hsp-spezialambulanzen“) vorstellen, desto mehr lernen wir über die Erkrankung und desto besser wird langfristig die Versorgungssituation für HSP-Betroffene in Deutschland und weltweit.



  • Feedback 2
    Den Vortrag fand ich sehr gut. Jetzt kann ich auch meinen Mitmenschen sehr gut erklären was die Krankheit mit mir macht.
    So gut konnte mir das noch kein Arzt hier erklären.


    Ganz herzlichen Dank! Gerade für chronische Erkrankungen wie die HSP ist es mir wichtig, dass auch Sie als Betroffene möglichst viel über Ihre Erkrankung verstehen. So gewinnen Sie ein Stück weit Kontrolle zurück!





  • Frage 3
    Nach dieser sehr guten Beschreibung der Probleme und deren Ursachen stellt sich mir jetzt die Frage nach geeigneten Maßnahmen zur Verbesserung der Situation, insbesondere nach Physiotherapie. Was ist eigentlich aus der Studie in Tübingen geworden, deren Ergebnisvorstellung im April leider ausfallen musste?

    Trotz der teils sehr schwierigen Situation, die wir in der Klinik aufgrund der Covid-19 Pandemie in den letzten Monaten erlebt haben, haben wir in Tübingen mit großem Einsatz an der Online-Darstellung des Tü-MIM – Konzeptes – modulare, individualisierte und multimodale Physiotherapie für die HSP –gearbeitet. Für jede der Tü-MIM Physiotherapieübungen haben wir detaillierte Videoanleitungen erstellt sowie eine bebilderte schriftliche Anleitung verfasst. Umrahmt wird diese Darstellung von Vorträgen von Herrn Prof. Schöls und mir zur HSP und zum Tü-MIM Konzept. Im Moment sind wir mit den letzten Korrekturen der Texte beschäftigt. Wir werden die Webinhalte in den nächsten Wochen auf der TreatHSP Homepage (treatHSP.net) veröffentlichen und Sie natürlich informieren, wenn es soweit ist!

    Für ein persönliches Treffen bleibt dies natürlich ein schmaler Ersatz und wir hoffen, einen HSP Infotag in Tübingen irgendwann nachholen zu können.



  • Feedback 3
    Eine sehr gute Beschreibung der HSP, für den Laien sehr verständlich. Können Sie das für geeignete Physiotherapie wiederholen?


    Unbedingt! Siehe meine Antwort zur vorangegangenen Frage.





  • Frage 4
    Frau Dr. Schüle Sie erwähnten in Ihrem Referat, dass es für neuropathische Schmerzen eine ganz besondere Klasse von Schmerzmitteln gibt. Können Sie diese Medikamente bitte benennen?
  • Feedback 4
    Klasse Präsentation, sehr verständlich


    Viele der Medikamente, die erfolgreich für die Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden, wurden ursprünglich für die Behandlung von Epilepsien entwickelt. Gute Erfahrungen machen wir z.B. mit Pregabalin, Gabapentin, Amitryptilin oder auch Duloxetin. Welches dieser Medikamente für Sie am besten geeignet ist und in welcher Dosierung Sie dieses am besten einnehmen sollten, besprechen Sie am besten mit Ihrem Neurologen / Ihrer Neurologin.





  • Frage 5
    Ich hätte gerne gewusst welche Medikamente bei meiner Spastik (HSP SPG 5) sinnvoll wären, damit ich wieder etwas besser laufen könnte. Tolperison hilft mir nicht besonders, auch Baclofen ist nicht das wahre Hilfsmittel. Im Gegenteil mein Laufen ist nach Einnahme noch schlechter. Ich hatte schon mal an Cannabis Thc gedacht. Und wäre es möglich das Video auf einer CD zu bekommen ???
    (Hinweis R. Kleinsorge: Jedes unserer Videos kann ganz problemlos aus YouTube geladen werden. Es gibt dazu viele Möglichkeiten. Eine sehr einfache ist in diesem Video erklärt)

  • Feedback 5
    Der Vortrag war ganz hervorragend und auch aufschlussreich. Habe neue Erkenntnisse dadurch gewonnen


    Ob eine Behandlung der Spastik bei Ihnen sinnvoll ist und welche Strategie zur Behandlung der Spastik ggf. für Sie die richtige ist, kann ich leider nur nach Untersuchung und einem ausführlichen Gespräch beantworten. Ein paar allgemeine Grundätze will ich aber doch versuchen darzustellen. Durch die Behandlung der Spastik wird die ungewünschte Verspannung der Muskulatur reduziert; dies geht aber immer – ganz unabhängig von dem eingesetzten Medikament – mit einer Reduktion auch der Kraft in der behandelten Muskulatur einher. Wenn die Beine also durch die HSP bereits geschwächt sind (und das ist bei der SPG5 häufig der Fall), dann kann eine Behandlung der Spastik tatsächlich auch zu einer funktionellen Verschlechterung führen. Vor Beginn einer antispastischen Therapie wird Ihr Arzt/Ärztin also mit Ihnen im Detail besprechen: welche Symptome der HSP stören Sie besonders? Lassen sich diese durch eine antispastische Therapie überhaupt behandeln? Welche Nebenwirkungen sind zu erwarten? Welche antispastische Therapie ist für Sie die geeignete? Leider kann ich also hier keine Pauschalantwort bieten.





  • Frage 6
    Sie sprechen darüber, dass die HSP nicht eine Krankheit ist sondern eine Erkrankungsgruppe ist. Sie nennen das Äpfel und Birnen. Ist das der Grund, weshalb es noch kein heilendes Medikament gibt? Wäre es besser, wenn sich die Forscher nur um eine Form kümmern würden (z.B. Äpfel) und nur dort nach einer Lösung suchen würden? Oder anders gefragt: Verzettelt sich die Forschung bis heute?
  • Feedback 6
    Ich habe ganz viel Neues gelernt. Vielen herzlichen Dank für Ihren Einsatz beim Bremen Tag.


    Das ist ein sehr umsichtiger Kommentar. Das „Verzetteln“ ist tatsächlich ein großes Problem. Es gibt ohnehin nur wenige Ärzte und Forscher, die sich weltweit mit HSP beschäftigen. Bei so vielen Unterformen der HSP fehlen da schlicht die Ressourcen. In unserem TreatHSP-Netzwerk versuchen wir, die verstreuten Forschungsaktivitäten besser zu bündeln und zu koordinieren. Eine richtig gute Lösung habe ich für das Problem aber nicht. Wenn wir uns nur auf eine Form konzentrieren (z.B. Äpfel), dann kommen wir für diese vielleicht schneller voran, lassen aber gleichzeitig auch viele Betroffene mit anderen Formen der HSP im Stich. Wir sollten daher gemeinsam versuchen, die Sichtbarkeit der HSPs in der Gesellschaft (und der Politik) zu erhöhen, um möglichst mehr Ressourcen für die Forschung an den HSPs zu gewinnen. Hier kann jeder einzelne von uns mithelfen, Sie als Betroffene und Angehörige, wir als Ärzte und Wissenschaftler.





  • Aus der YouTube-Seite
    Dankeschön. Sehr gut erklärt


    Herzlichen Dank!