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Fragen und Antworten zum Vortrag von Herrn PD Dr. Kohl

BeitragVerfasst: Do 19. Nov 2020, 09:52
von Rudi
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Fragen an Herrn Dr. Zacharias Kohl und seine Antworten
zum Online-Vortrag beim HSP-Info-Tag 2020 in Bremen


Der Blick über den Tellerrand:
HSP, ALS und andere Motoneuronerkrankungen
...................................................................................Zum Video

.............................................Die Fragen und Antworten können hier als PDF geladen werden

Es gab zahlreiche, interessante Fragen zum Vortrag von Herrn Dr. Kohl. Unten sind sie und die ausführlichen Antworten von ihm eingestellt.





  • Frage 1
    Ich habe eine komplizierte HSP, die durch das SPG7 verursacht wird. Bei mir sind neben dem gehen auch das Sprechen und das Sehen stark beeinträchtigt. Ich habe durch Sie nun gelernt, dass bei mir das erste und das zweite Motoneuron betroffen sind. Meine Frage1: Geht die Behinderung durch das 2. Motoneuron schneller voran als durch das erste? Frage2: Degenerieren bei mir beide Motoneurone? Habe ich also zwei Krankheiten?

  • Feedback 1
    Schöner Vortrag, Herr Dr. Kohl. Mir ist einiges klarer geworden. Danke!

    Vielen Dank, es freut mich, dass ich Ihnen die zugegebenermaßen komplexen Aspekte der Motoneuronerkrankungen ein Stück „durchsichtiger“ machen konnte. Bei der SPG7 handelt es sich tatsächlich um eine recht „variable“ HSP, welche in verschiedenen Ausprägungen auftreten kann. So hat etwa nur ein Teil der Patienten Seheinschränkungen, ein Betroffensein des 2. Motoneurons ist ebenfalls nur bei einem Teil der Patienten zu erkennen, und da oft eher im Sinne einer Polyneuropathie. Die zugrunde liegende Genveränderung scheint bei Menschen unterschiedlich stark Nervenzellen zu beeinträchtigen. Es handelt sich aber immer um EINE Erkrankung.





  • Frage 2
    Meine Tochter hat eine Mutation im SPG11. Das ist sehr schlimm. Sie ist nun 15 Jahre alt. Mit Schrecken habe ich in Ihrem Vortrag gesehen, dass das SPG11 auch die ALS verursacht. Kann es passieren, dass meine Tochter nun auch noch ALS bekommt und daran verstirbt? Bisher war uns immer gesagt worden, dass man an einer SPG11-Mutation nicht stirbt.

  • Feedback 2
    Mir war es nicht bekannt, dass die angesprochenen Krankheiten so viele Gemeinsamkeiten haben. Danke für Ihren Vortrag.


    Vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Tatsächlich sehen wir bei dieser Erkrankungsgruppe viele Gemeinsamkeiten, aber auch wichtige Unterschiede. Ein wichtiger Unterscheidungspunkt bei der Diagnosestellung „ALS“ ist dabei inzwischen (v.a. durch die intensiven Forschungs-anstrengungen der letzten 15 Jahre) geworden, ob es sich um eine erbliche ALS-Form oder eine „typische“ sporadisch auftretende ALS handelt. Erstere beginnt häufig in jüngerem Lebensalter und zeigt nicht selten einen langsamer fortschreitenden Verlauf. Die sporadische ALS, die häufig einen ungünstigen Verlauf über wenige Jahre nimmt, zeigt erste Symptome oft erst nach dem 50. Lebensjahr. Interessanterweise überlappen sich manchmal HSP und ALS bei Mutationen im gleichen Gen, wie es bei der SPG11 möglich ist. Warum Mutationen im SPG11 Gen bei manchen Patienten anstelle der typischen HSP-Ausprägung eher zu einer der ALS ähnlichen Erkrankung führen (interessanterweise gibt es auch SPG11 Patienten mit „nur“ einer motorischen Neuropathie), ist bisher nicht gut verstanden. Mit einer „klassischen“ sporadischen ALS darf man diese Erkrankung aber nicht verwechseln, auch wenn es gewisse Ähnlichkeiten gibt.





  • Frage 3
    Sollte man es denn nicht versuchen, die Motoneuronerkrankungen als eine gesamte Krankheitsgruppe zu betrachten und auch die Forschung gemeinsam zu machen? Wir wären dann eine größere Gruppe und hätten dann auch sicher mehr Geld in der Forschung.

  • Feedback 3
    Danke für die breite Darstellung und die sich so ergebenden neuen Gedanken.


    Es freut mich, dass mein Vortrag Ihnen das breite Spektrum dieser Erkrankungsgruppe nähergebracht hat. Tatsächlich bearbeiten viele Forscher, besonders im Bereich der kliniknahen Grundlagenforschung, die Fragestellungen gemeinsam. Für die klinische Forschung, also das Testen neuer Therapien am Patienten, ist es dagegen eher so, dass man versucht, nur Patienten mit gleichen oder sehr ähnlichen Krankheitsverläufen und Stadien zu untersuchen. Hier will man vermeiden, dass zu viele „Ausreißer“ das Ergebnis verfälschen und dann evtl. einen positiven Effekt der Behandlung „verschleiern“ könnten.





  • Frage 4
    Wie stark befruchten sich denn die medizinischen Arbeiten der von Ihnen dargestellten Einzelkrankheiten untereinander?


    Wie bei Frage 3 schon erläutert, findet v.a. im Bereich der Grundlagenforschung ein reger Austausch der unterschiedlichen Forschergruppen statt. Ganz bewusst versuchen wir auch, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei Konferenzen und Symposien zusammenzubringen, mit der Hoffnung, dass Ideen und Konzepte für ALLE Motoneuronerkrankungen entwickelt werden.





  • Frage 5
    Sie haben es sehr gut erklärt, dass es bei SMA neu entwickelte Medikamente gibt. Kann man die, wenn die Krankheit mit unserer HSP am "gleichen Tellerrand" liegt, auch bei uns ausprobieren?

  • Feedback 5
    Schön, einmal über den Tellerrand hinauszuschauen.


    Herzlichen Dank für Ihre Anregung. Leider handelt es sich bei der Veränderung im SMN Gen bei der SMA um eine ganz spezielle, eher seltene Konstellation (zweimal fast das identische Gen vorliegend), die man erfreulicherweise bereits durch eine ganz zielgerichtete Therapie beeinflussen kann. Eine tatsächlich ursächliche Therapie für die verschiedenen HSPs wird auch jeweils zielgerichtet entwickelt werden müssen. Trotzdem wird man dafür von den Erfahrungen aus den bereits existierenden Therapien profitieren können.





  • Frage 6
    Wenn bei der HSP beide Leitungsbahnen betroffen sein können, habe ich dann automatisch eine komplizierte HSP? Und was bedeutet das für die Diagnose; kann sich der Name meiner Krankheit später noch ändern?

  • Feedback 6
    Ohne das, was Sie und Ihre Kollegen hier bei uns in der Interessengemeinschaft Ge(h)n mi HSP machen, hätte ich kein Wissen zu meiner HSP. Danke dafür.


    Die Definition wann eine HSP „kompliziert“ oder „komplex“ genannt wird, basiert primär auf den Befunden, die bei den Patienten erhoben wurden/werden. Tatsächlich gibt es auch einzelne HSPs, die sowohl einen komplexen als auch einen „reinen“ oder einfachen Verlauf nehmen können. Wichtiger für zukünftige Therapien ist, ob man die ursächliche Gen-Veränderungen (Mutation) gefunden hat. Allerdings wird es v.a. bei der Diagnosestellung, wenn die ersten Symptome manifest werden, auch weiter wichtig sein, dass wir mit Hilfe dieser Einteilung eine erste grobe Richtung für die Diagnostik geben können.

    Herzlichen Dank für Ihr Feedback. Für uns ist es außerordentlich wichtig, dass unsere Patienten selber auch ein Verständnis für die Erkrankung entwickeln und in gewisser Weise Experten für Ihre Erkrankung werden. Nur dann ist es auch möglich, gemeinsam (Patienten und Forscher/Ärzte) erfolgreich wissenschaftlichen Fortschritt zu erreichen.




  • Frage 7
    Sie haben es uns vorgestellt, dass es bei anderen seltenen Krankheiten Medikamente gibt. Warum gibt es denn die noch nicht bei uns? Was machen unsere HSP-Forscher da falsch? Was können wir besser machen?

  • Feedback 7
    Alles prima.


    Es gibt die Therapien bei einzelnen seltenen Erkrankungen in der Neurologie erst seit kurzer Zeit. Bei einigen davon hat einfach der Zufall dazu geführt, dass man schneller in die klinische Anwendung gekommen ist. Die Forschung für die HSPs hat viele neue Erkenntnisse gebracht in den letzten Jahren, hier sehe ich großes Potential in der Zukunft. Es wird wichtig sein, dass die Erkrankung HSP noch stärker in das Interesse der Medikamentenentwickler rückt. Und es müssen noch mehr HSP Patienten regelmäßig die entsprechend qualifizierten Spezialambulanzen aufsuchen und an Studien teilnehmen. Ohne ausreichend viele Teilnehmer an Studien wird man auch bei einem erfolgversprechenden Behandlungskonzept nicht überprüfen können, ob dies bei Patienten wirklich wirksam ist. Umso mehr freut es uns, wenn Veranstaltungen wie dieser HSP-Info Tag große Resonanz bei den Patienten finden.