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Bericht zum bayerischen Treffen vom 10.10.2015

BeitragVerfasst: Sa 14. Nov 2015, 14:38
von rainer
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Ge(h)n mit HSP in Bayern, Treffen 10.10.2015

Am 10. Oktober haben wir uns mit Mitgliedern unserer bayerischen HSP Interessengemeinschaft im Gasthaus „Zum Alten Wirt” in Aiglsbach bei Ingolstadt getroffen. Unser Programm für diesen HSP-Info Tag war ja zuvor über das Internet im Forum "Ge(h)n mit HSP" bekannt gemacht worden. Zusätzlich hatte Hedi Steinberger zahlreiche HSP'ler telefonisch informiert. Es war also nicht überraschend, dass sich mehr als 40 interessierte Teilnehmer eingefunden hatten. Erkennbar freuten sich zahlreiche Gäste über das Wiedersehen. Neue Mitglieder wurden gerne und herzlich aufgenommen. Es muss nicht besonders hervorgehoben werden, dass die Gespräche über das Erlebte seit dem letzten Treffen und natürlich auch der Austausch über Neuigkeiten zu unserem Thema HSP sofort begannen.

Nach einer kurzen offiziellen Begrüßung konnte ich Herrn Prof. Dr. Klebe von der Universitätsklinik Freiburg als ersten Referenten vorstellen. Bekanntlich war er vor seinem Wechsel nach Freiburg einige Jahre an der Würzburger Universität und davor in Paris und in Kiel tätig. An allen Standorten hat er zur HSP geforscht und hat direkt mit HSP-Patienten gearbeitet. Sein Vortrag wurde von zwei Schwerpunktthemen geprägt, nämlich der Behandlung der Spastik und einer Studie zum SPG11.

Zunächst erläutertet Prof. Klebe, wie die Spastik überhaupt entsteht und was sie bewirkt. Er hob hervor, dass es eine Störung in den langen Nervenbahnen im Rückenmark sei, die das Symptom Spastik hervorruft. Sehr wesentlich für das Verständnis war seine Erklärung, dass die Spastik für uns notwendig sei, da sie die Folgen der typischen HSP-Lähmungserscheinungen ausgleiche und kompensiere. Leider sei aber die Spastik bei uns Patienten durch die HSP zu stark ausgeprägt. Es gibt eine Vielzahl von Medikamenten, die das Symptom Spastik in seiner auftretenden Stärke reduzieren. Prof. Klebe wies ausdrücklich darauf hin, dass die Wirkstoffmenge genau beachtet werden müsse, weil hier ein Zuviel dazu führen könne, dass die Bewegungsfähigkeit negativ beeinflusst wird.

Im Anschluss ging Prof. Klebe intensiv auf die Botoxbehandlung bei unserer HSP-Spastik ein. Er erläuterte zunächst, dass der Wirkstoff Botulinumtoxin das stärkste Gift sei, das man derzeit kenne. In den verabreichten Mengen, die HSP-Patienten erhalten, sei es bei richtiger Gabe aber sehr hilfreich und nicht problematisch. Der Wirkstoff werde ausschließlich in solche Muskeln gespritzt, die für die spastische Störung verantwortlich seien. Bei uns HSP'lern sind das überwiegend bestimmte Wadenmuskeln, bestimmte Muskeln am Schienbein und Muskeln aus der Gruppe der Adduktoren an den Oberschenkeln. Da der eingespritzte Wirkstoff zunächst nur direkt an den Injektionsstellen im Muskel verbleibe, sei es absolut notwendig, dass er recht bald nach der Gabe im Muskel verteilt werde. Das müsse ein Physiotherapeut machen, der das durch gezieltes Bearbeiten der behandelten Muskeln erreichen könne. Nur wenn der Wirkstoff im gesamten Muskel verteilt werde, könne er seine Wirkung erzeugen. Prof. Klebe beschrieb die Wirkung. Nach der zuvor dargestellten Verteilung des Wirkstoffs, sei dieser in der Lage, die Verbindung zwischen Nerv und Muskel (das ist die "Motorische Endplatte") gezielt abzubauen. Damit wird erreicht, dass die Menge der Nervenimpulse, die den Muskel erreichen, verringert wird. Dadurch werden dann auch die spastischen Symptome reduziert. Prof. Klebe stellte dar, dass sich dieser Effekt bei mehr als 50% von uns sehr positiv auf das Bewegungsvermögen auswirke. Nach etwa drei Monaten sei die Wirkung aber nicht mehr feststellbar, weil sich zwischen Nerv und Muskel neue Verbindungen entwickelt hätten. Zu diesem Zeitpunkt sei dann die erneute Gabe von Botulinumtoxin notwendig.

Aus dem Kreis der HSP-Betroffenen kam die Frage, ob die Krankenkassen die Behandlung mit Botox übernehmen. Prof. Klebe stellt dar, dass die Botoxbehandlung bei HSP nicht zu den Leistungen der Kassen gehöre, da sie bei HSP noch keine Zulassung habe. Im Rahmen des "Off-Label-Use" seien aber viele Kassen bereit, die Kosten zu übernehmen.

Im Anschluss stellt Prof. Klebe eine aktuelle Studie zum SPG11, einer seltenen HSP-Form, vor. Bei diesem Gen sei durch eine Studie von französischen HSP-Forschern entdeckt worden, dass es im Mutationsfall zu Entzündungen komme. Von diesen Entzündungen seien dann auch die Sehnerven betroffen. Deutsche und französische HSP-Forscher wollen nun untersuchen, ob sich diese Entzündungen mit einem bereits bekannten Medikament beeinflussen lassen. Das geschieht zunächst in HSP-Mäusen, die eine SPG11-Mutation haben.

Um die SPG11 besser zu verstehen, werden HSP-Patienten mit einer entsprechenden Mutation eingeladen, an einer Studie teilzunehmen. Mit Hilfe einer computerunterstützten Bewegungsanalyse soll über Drucksensoren und Ganganalysen sowohl der Stand als auch das Gehen bei den SPG11 Patienten aufgenommen werden. Im Weiteren ist geplant eine Untersuchung der Netzhaut und des Sehnervens durchzuführen. SPG11 Patienten werden gebeten, sich mit Herrn Prof. Dr. Klebe (Telefon: 0761-270 53070) in Verbindung zu setzen.

Mit großem Applaus wurde Herrn Prof. Klebe für seinen Vortrag und für seine zahlreichen erklärenden Hinweise gedankt.

Nach dem Mittagessen sprach Kirsten Wörner zu uns. Kirsten ist selbst HSP-Betroffene. Da sie ausgebildete Allgemeinärztin ist und bis heute beruflich aktiv ist, hat sie natürlich ein sehr gutes Wissen zu unserer Erkrankung.
In einem kurzen Vortrag informierte uns Kirsten Wörner über die neuesten Forschungen im Bereich Muskelerhalt und Forschung zu Ernährung und Erhalt der Nervenfortsätze. Letztere sind im Rückenmark besonders lang und deshalb auch am empfindlichsten gegenüber fehlender Zellernährung.
Der Zellstoffwechsel wird jetzt am Zebrafisch erforscht, da bei dieser Spezies synonyme Prozesse an den Eizellen erfolgen und wesentlich leichter erforscht werden können.
Der vermehrte Untergang der Muskelzellen erfolgt durch das Fehlen eines Proteins, Pax7 genannt, das wesentlich zur Muskelregeneration beiträgt.
An Mäusen wird zur Zeit erforscht, ob sich ein Medikament oder ein Verfahren zur verbesserten Muskelregeneration finden lässt und dadurch geschädigte Muskeln wieder "repariert" werden können. Neue Wege zur Linderung auch der Prozesse bei der HSP sind beschritten. Ein Ausblick in die Zukunft ist möglich.

Leider musste ich nun erklären, dass der Bundestagsabgeordnete, Herr Erich Irlstorfer, aus persönlichen Gründen leider nicht kommen konnte. Er hat uns aber die Zusage gegeben, bei einem nächsten Treffen unserer Interessengemeinschaft zu kommen und das Thema Inklusion zu vertiefen.

Ich konnte daher nun die aktuelle Situation in unserer bayerischen Gemeinschaft und im Förderverein etwas intensiver darlegen. Dabei erläuterte ich den Anwesenden, dass sowohl bei der Muskeldystrophie Duchenne, als auch bei der Mukoviszidose deutlich größere Erfolge im Bereich der Forschung an Nonsensmutationen erzielt wurden als bei HSP. Dies obwohl hier jeweils deutlich weniger Erkrankte davon profitieren könnten. Dies ist wohl auf eine größere Aktivität der Betroffenen zurückzuführen und müsse bei uns verbessert werden um auch hier schneller zu Lösungen für HSP-Nonsensmutationen zu kommen. Weiterhin habe ich die Forschung mithilfe der pluripotenten Stammzellen und das Forschungsprojekt bezüglich Physiotherapie angesprochen, worauf allerdings Rudi Kleinsorge später noch detaillierter einging. Weiterhin wurde die derzeit schlechte finanzielle Situation des HSP-Fördervereins angesprochen, die es wieder zu verbessern gilt. Dabei könnte unter anderem die Möglichkeit des Einkaufens im Internet helfen (Erklärung). Was sich dagegen sehr positiv entwickelt ist die Nutzung unseres Forums. Dabei wurden die Teilnehmer darauf hingewiesen sich bitte zu registrieren, da dadurch bei Spendenakquise oder Kontakt zu Presse oder ähnlichem die Außenwirkung durch die große Anzahl registrierter Nutzer deutlich verbessert werden würde. Am Ende meiner Ausführungen wies ich darauf hin, dass es uns sehr helfen würde, wenn jeder Betroffene dazu helfen würde die HSP in der Bevölkerung bekannter zu machen. Dies würde vor allem bei der Spendenbeschaffung oder öffentlichen Veranstaltungen helfen die Akzeptanz zu steigern und damit die Situation des Fördervereins zu verbessern.

Da auch Rudi Kleinsorge als Gast zu uns gekommen war, konnte er sehr intensiv auf die aktuell vom Förderverein unterstützten Projekte und auf weitere Forschungsvorhaben eingehen. Da er tags zuvor zu einem Gespräch in Tübingen war, konnte er auch die Inhalte dieses Gesprächs vorstellen.

Zum laufenden Projekt zu den Nonsensemutationen wurde dargelegt, dass dieses Vorhaben einen Nutzen für etwa 2.000 HSP'ler haben könnte. Wegen dieser großen Menge wurde erneut erläutert, was eine Nonsensemutation eigentlich ist. Rudi stellte dar, dass er allein im Kreis der anwesenden HSP'ler vier Personen mit einer Nonsensemutation kenne. Da ihm aber die Mutation nicht von jedem Anwesenden bekannt sei, rechne er mit einer größeren Menge. Bei den Wirkstoffen, die in Tübingen momentan in Zellkulturen getestet werden, soll geprüft werden, ob sie in der Lage sind, die Nonsensemutation unwirksam zu machen. Für eine andere Erkrankung ist ein solches Medikament bereits zugelassen. Für eine zweite Erkrankung wird derzeit die Zulassung geprüft. Beide Erkrankungen haben eine wesentlich kleinere Menge an Patienten mit einer Nonsensemutation. Sie liegt dort bei etwa 140 bzw. etwa 400 Personen. Diese sehr kleinen Gruppen haben sich aber sehr stark für die Medikamentenforschung engagiert. Bei unserem Projekt zu den Nonsensemutationen sind bisher nur 55 HSP-Betroffene von etwa 6.000 Betroffenen aktiv geworden.

In diesem Zusammenhang wurde auch besprochen, dass wir von unseren Ärzten zwei Aussagen im Diagnosegespräch erhalten. Die eine Aussage ist die, dass unsere Erkrankung nicht heilbar ist. Die zweite Aussage ist die, dass man an unserer Erkrankung nicht stirbt. Leider fehlt die sehr wichtige dritte Aussage. Der Arzt müsste sagen: "Und weil Sie an HSP nicht sterben, müssen Sie sich engagieren, damit die nachfolgenden Generationen ein besseres Leben mit HSP haben. Sorgen Sie dafür, dass wir die HSP bald besser behandeln können!" Dieser Aufruf ist absolut wichtig und ist notwendig. Mit stillem und andächtigem Zuschauen werden wir unsere Situation nicht verbessern können.

Das Projekt zur Physiotherapie läuft ebenfalls auf Hochtouren. Das Ziel dieser Studie ist es, endlich ein Konzept für die Physiotherapie aufzubauen, das die Bedingungen unserer HSP berücksichtigt. Unsere Physiotherapeuten sollen endlich erfahren, wie sie uns wirkungsvoll behandeln können. Ziel ist es, am Ende eine Leitlinie für die Behandlung von HSP-Patienten zu haben. Erforderlich ist es dafür, dass sich 50 HSP-Betroffene bereitfinden, an der Studie teilzunehmen. Hier ist die Zielmenge heute noch nicht erreicht. Gerade die HSP-Patienten aus unserer bayerischen Interessengemeinschaft werden gebeten, sich intensiv zu beteiligen. Ihre Anreise nach Tübingen ist kürzer und damit schneller zu erledigen, als das bei vielen anderen HSP'lern der Fall ist.

Neben den Studien, die vom Förderverein finanziert werden, laufen in Tübingen und an anderen Standorten zahlreiche weitere HSP-Forschungsvorhaben. Beispielhaft nannte Rudi die SPG5-Studie. Hier wird momentan der Ethikantrag für eine Studie gelegt, bei der ein Medikament getestet wird, das sich positiv auf die SPG5-Symptomatik auswirken soll. Die Erkenntnis, dass ein bekanntes Medikament aus der Gruppe der Choleserinmedikament bei einer SPG5-Mutation helfen könnte, entstand in einer Forschungskooperation von Universitätskliniken aus Schweden und Italien mit der Uni Tübingen. Die HSP-Forscher hoffen, im kommenden Jahr mit den Studienarbeiten beginnen zu können.

Im letzten Jahr fand in Tübingen eine Kernspin-Studie mit SPG4-Patienten statt. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit sind kürzlich veröffentlicht worden. Sie zeigen einige neue Aspekte zum SPG4. Diese müssen nun in einer Folgestudie weiter vertieft werden. Unsere Interessengemeinschaft erhielt von den Tübinger Forschern einen speziellen Bericht, der bei uns im Forum hier per Klick abrufbar ist.

Rudi ging zudem auf die Forschungsarbeiten der Australier ein. Es ist sehr schön zu sehen, dass die kleine Gruppe von etwa 1.800 HSP'lern in Australien zeigt, was in der Forschung möglich ist, wenn sich HSP'ler engagieren. Die Berichte zu den australischen Forschungsarbeiten sind bei uns im Forum hier per Klick abrufbar.

Abschließend rief ich die HSP'ler dazu auf, unbedingt selbst aktiver zu werden. Nur wenn wir uns als die recht große Gruppe, die wir mit 6.000 Erkrankten sind, nach innen und nach außen sehr engagieren, dann werden wir das Leben mit HSP positiv beeinflussen können. In diesem Zusammenhang bat ich darum, dass meine Mutter -Hedwig Steinberger- und ich aus dem Kreis der HSP'ler in Bayern Unterstützung in unserer Arbeit erhalten.
Rainer Steinberger, 15.10.2015