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Verdachtsdiagnose Mutter

BeitragVerfasst: Fr 13. Aug 2021, 09:30
von Shanji
Hallo, Ihr Lieben,

ich weiß nicht, ob ich mit meinem Anliegen hier richtig bin, aber ich weiß gerade nicht, wohin mit meinen Fragen...

Also...
Meiner Mutter (76) wurde vor wenigen Wochen ein multiples Myelom diagnostiziert. Sie kann/möchte lediglich palliativ behandelt werden und wird dementsprechend nicht mehr sehr lange leben. Letzte Woche wurde sie von der Palliativstation nach Hause verlegt. Da ich mich gern genauer über ihre Erkrankung informieren wollte, gab sie mir bei einem Besuch ein Exemplar des Arztbriefes mit.
Neben der "eigentlichen" Diagnose stieß ich dort auf den Verdacht auf "familiäre spastische Spinalparalyse". Wie genau sich dieser begründet, abgesehen von (bereits seit Jahren/Jahrzehnten) bestehenden, teils massiven Bewegungseinschränkungen, sowie einer "Spitzfußstellung", konnte ich mir nicht erschließen. Auf meine Nachfrage hin, konnte meine Mutter mir auch nichts Genaueres sagen, da die Ärzte mit ihr wohl nicht weiter darüber gesprochen haben (?). Hinzukommt, dass sie ohnehin noch nie besonders "gesundheitsinteressiert" war und in ihrem jetzigen Zustand natürlich auch andere Sorgen hat, als sich um diese eventuelle "Baustelle" zu kümmern.

Ich bin nun allerdings etwas verwirrt und verunsichert, da mich - falls die Diagnose zutreffend wäre - dies ja möglicherweise auch betreffen könnte. Dazu meinte meine Mutter lediglich, dass sie selbst davon ja schließlich bisher auch nicht gewusst habe und ich mir darüber am besten keine Gedanken mehr machen solle. Von selbst hätte sie das Thema wohl gar nicht angesprochen. Vielleicht hat sie recht? Ich weiß es nicht...

Ich habe selbst einige gesundheitlichen Beschwerden: verschiedene psychische Probleme, MS (was bei meiner Mutter ausgeschlossen wurde - ihre Schwester und eine Cousine sind allerdings ebenfalls erkrankt), sowie immer mal wieder Rückenschmerzen nach einem schweren Bandscheibenvorfall vor ca. 10 Jahren. Vielleicht bin ich daher ein bisschen zu sensibel, was solche Themen betrifft...jedenfalls beunruhigt mich das Ganze derzeit schon etwas.

Meine schwerkranke Mutter möchte ich nun auf keinen Fall mehr damit belasten, also ist es ausgeschlossen, den Verdacht durch eventuelle weitere Untersuchungen zu erhärten oder zu entkräften. Daher wollte ich nun hier nachfragen, ob das tatsächlich eher etwas ist, was man einfach auf sich beruhen lassen sollte oder ob es etwas gibt, das ich sinnvoller Weise tun sollte/kann, um besser einschätzen zu können, ob mich diese Erkrankung ebenfalls betreffen könnte.

Entschuldigt bitte den langen Text, aber ich bin gerade von der Gesamtsituation echt ein bisschen überfordert...und einfach ratlos. Für eine Einschätzung wäre ich jedenfalls sehr dankbar...

Vielen Dank fürs Lesen...und alles Liebe und Gute!

Jenny

Re: Verdachtsdiagnose Mutter

BeitragVerfasst: Fr 13. Aug 2021, 17:01
von Rudi
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Hallo Jenny,

zunächst ein herzliches Willkommen hier bei uns im Forum. Ich gehe zunächst kurz auf das Multiple Myelom und dann intensiver auf die HSP ein.

Das Multiple Myelom (MM) ist eine nicht heilbare, aber immer besser behandelbare, seltene Krebserkrankung des Knochenmarks. Jährlich erkranken in Deutschland etwa 6000 Patienten – das durchschnittliche Alter bei Diagnose liegt bei knapp über 70.
Der Text stammt aus der Seite
"Krebsforschung: Multiples Myelom - Die leise Revolution". Du findest dort gute Basisinformationen.

Nun zur „familiären spastischen Spinalparalyse“, die bei Medizinern „Hereditäre Spastische Spinalparalyse“ (kurz HSP) genannt wird. Das Wichtigste zunächst ist, dass man an der HSP nicht verstirbt. Die Krankheit zeigt sich im Wesentlichen dadurch, dass das Bewegungsvermögen eingeschränkt ist. Diese Einschränkung nimmt im Laufe der Zeit kontinuierlich zu. Bisher ist das noch nicht rückgängig zu machen oder auch nur zu stoppen. Die Forschung arbeitet in vielen Ländern daran, eine Lösung zu finden. Bisher ist aber der Durchbruch noch nicht gelungen. Auch wir unterstützen solche Forschungen mit unserem
„Förderverein für HSP-Forschung“.

Wie es der Name der Erkrankung sagt, handelt es sich um eine vererbbare Krankheit (=hereditär). Die HSP ist für die Forschung -und damit auch für uns alle- recht kompliziert. Das liegt vor allem daran, dass die Genetik bei der HSP sehr vielschichtig ist. Sie kann nämlich nicht nur durch ein einziges, mutiertes Gen sondern durch viele einzelne Gene ausgelöst werden. Man kennt heute bereits mehr als 100 solcher Gene. Ursprünglich wurden sie durchnummeriert. Betroffene Gene wurden als SPG (Spastic Paraplegie Gen) bezeichnet und erhielten eine folgende Nummer. Das erste Gen, das gefunden wurde, wurde als SPG1 bezeichnet, die folgenden SPG2, SPG3 usw. Das Gen, das bei den meisten von uns der Auslöser für die HSP ist, ist das SPG4.

Hinzu kommt, dass es unterschiedliche Vererbungswege gibt. Es gibt einzelne SPGs, die dem dominanten Erbgang folgen, während andere dem rezessiven Weg folgen. Den dritten Weg, der aber für deine Mutter und für dich nicht von Interesse ist, ist der X-Chromosomale Vererbungsweg. Der betrifft im Prinzip nur Männer.

Beim dominanten Weg wird der Fehler mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% weitergegeben. Das ist z.B. beim SPG4 der Fall. Hier passiert das Folgende: Bei der Zeugung eines Kindes wird von jedem Elternteil ein kompletter Satz der eigenen Gene an das zu zeugende Kind übergeben. Das Kind hat also alle Gene doppelt, wie auch jedes Elternteil alle Gene -von den eigenen Eltern- doppelt hat. Da nun nur ein Gensatz der eigenen Eltern bei der Zeugung weitregegeben wird (welches der beiden Elternteile das ist reiner Zufall) kann das neu gezeugte Kind Glück haben und es bekommt das gesunde Gen, oder es kann Pech haben und bekommt das mutierte Gen. Hat es das Glück und bekommt das gesunde Gen, dann bleibt es gesund; hat es aber Pech und bekommt das defekte Gen, dann wird es krank. Dieser Mechanismus gilt bei allen dominanten Genen.

Der andere Weg ist der zu den rezessiven Genen. Hier entsteht die HSP nur dann, wenn das mutierte Gen zweimal übertragen wird. Nur wenn das entsprechende Gen sowohl von Vater wie auch von der Mutter übertragen wird, dann entsteht die HSP. Ist nur eines der beiden Gene mutiert, dann ist das gesunde Gen allein stark genug und das Kind bleibt gesund. Das Gemeine ist hier, dass solche Eltern, die ein Kind zeugen wollen, das defekte Gen einfach in sich tragen können. Sie sind also gesund. Trifft das auf beide Elternteile zu, dann kann es passieren, dass beide bei der Zeugung ihr defektes Gen übertragen. Das Kind hat damit zwei defekte Gene und es wird krank. Auch der Weg kommt bei der HSP häufig vor. Beide Elternteile sind also ganz gesund und ihre Kinder bekommen dennoch die HSP. Das Risikoliegt hier beträgt 25%.

Sollte die Diagnose deiner Mutter mit HSP richtig sein und sollten das auch deine angesprochenen Verwandten haben, dann ist die dominante Form die wahrscheinliche.

Zu der Genetik findest du bei uns weitere Erklärungen. Siehe dazu einfach den Aufsatz
“Was ist HSP“ und siehe die Erklärungen im Beitrag "Genetik".

Zusätzlich verweise ich auf den Beitrag
“Häufige Fragen“.

Notwendig ist es für dich, dass du dich unbedingt bei einem Arzt vorstellst, der sich mit der HSP auskennt und der die erforderlichen genetischen Analysen machen lassen kann. Siehe dazu bitte unsere Liste der
"HSP-Ambulanzen". Das gilt natürlich auch für deine Mutter. Solltest du bei der Auswahl der Ambulanzen Fragen haben, so rufe mich bitte kurz an (07033-36353).

Wie ich eingangs sagte, gibt es bisher keine Therapie, die die HSP stoppen kann. Das sinnvollste ist es, dass du unbedingt und zeitnah eine passende Physiotherapie machst. Notwendig ist es, dass deine Therapeuten eine neurologische Ausbildung haben und Therapien wie Bobath oder PNF machen können. Du solltest dir von deinem Arzt unbedingt wöchentlich zwei Doppelstunden verordnen lassen. Von den Krankenkassen wird das übernommen, wenn dein Arzt auf der Überweisung vermerkt, dass du chronisch erkrankt bist. Auch dazu kann ich dir in einem Telefonat gerne mehr erzählen.

Neben dieser Therapieform gibt es Medikament, mit denen du die Spastik behandeln kannst. Siehe dazu bitte den Beitrag von Dr. Michael Speer
„Medikamentöse Behandlung der Spastik Wirkungen und Nebenwirkungen“. Michael ist auch Mitglied bei uns und ist selbst von der HSP betroffen.

Ich hoffe, dass ich dir mit meiner Antwort erste Hinweise zu deinen Fragen geben konnte. Alles Weitere gerne über neue Beiträge und per Telefon.

Herzliche Grüße
Rudi